Wir versuchen, die Schatten an der Wand zu deuten, und wissen nichts von dem Licht, das sie hervorruft. (Seite 288)

 

Cover: Das TagebuchZum Inhalt

Leon ist Leiter eines archäologischen Grabungsprojektes in der Vendée. Er will beweisen, daß hier Riothamus, die historische Figur hinter dem mythischen Artus, gelebt hat und gestorben ist. Dabei entdeckt er das Tagebuch einer jungen Frau, die 1793 in der Burgruine neben dem Ausgrabungsort eingekerkert war und auf ihre Hinrichtung wartete. Seltsam an diesem Fund ist, daß er zwischendurch verschwindet und verändert wieder auftaucht. Schließlich fühlt sich Leon angesprochen und schreibt hinein - um beim nächsten Auftauchen eine Antwort zu lesen. Was hat es damit auf sich? Und was für ein Geheimnis steckt hinter den seltsamen Vorkommnissen, die die Arbeit erschweren?  

 

 

Kommentar / Meine Meinung

Das Buch macht mir die Rezi nicht einfach. Um das, was mir dazu einfällt, zu schreiben, müßte ich ziemlich viel vom Inhalt erwähnen. Da ein Teil davon recht spät im Buch geschieht, verbietet sich das. Wie also sich so einem Buch nähern?

Großartig, gewaltig, vielschichtig - unbedingt lesen. Das ist die kürzestmögliche Form, die mir für eine Rezension einfällt, ohne etwas über den Inhalt bzw. die Handlung zu verraten. Doch das wäre denn doch etwas wenig.

Der Prolog kann abschreckend wirken, weshalb die Notwendigkeit desselben sich mir nicht ganz erschlossen hat. Zumal die betreffende Tagebuchstelle recht bald im Rahmen der eigentlichen Handlung (wieder) auftaucht. Das Ganze beginnt relativ harmlos mit archäologischen Ausgrabungen, die beweisen sollen, daß es einen historischen Riothamus gab, der dem Artus-Mythos zugrunde liegt.* Die Geldgeber wollen Ergebnisse sehen, was den Archäologen Leon und sein Team unter Druck setzt; die Nachbarn sind nicht begeistert, daß ein deutsches Grabungsteam herumschnüffelt. Und dann taucht dieses seltsame Tagebuch aus der Zeit der Französischen Revolution auf und zieht Leon mehr und mehr in seinen Bann.

Es ist dem Autor gelungen, einen äußerst vielschichtigen Roman, der sich keinem Genre direkt zuordnen läßt, zu schreiben. Es gibt sehr spannende Stellen, aber auch ein starkes historisches Moment um den Aufstand in der Vendèe. Und es gibt ein sehr phantastisches Element. All das entwickelt sich völlig logisch und folgerichtig. Die Zeit ist eines der Themen des Buches, und es wird auch bis kurz vor Ende dauern, bis alle ihre Fragen und Rätsel gelöst sind.

Auch wenn die Handlung ab einem bestimmten Punkt eine von mir erhoffte Wendung nahm, ist es dem Autor gelungen, mich gegen Ende nochmals völlig zu überrumpeln. Obwohl ich überraschende Wendungen eigentlich nicht so sehr schätze, so war das hier doch sehr glaubwürdig und hat im Nachhinein vieles erklärt, was bis dahin etwas seltsam oder unerklärlich wirken mochte.

Das Buch spielt auf zwei Zeitebenen, einer heutigen und der im ausgehenden 18. Jahrhundert. Dabei erfahren wir von schlimmen (historischen) Ereignissen im Verlauf der Französischen Revolution, nämlich dem Aufstand in der Vendée, den manche Historiker unserer Tage als „Genozid“ bezeichnen. Da kam mir schon die Frage in den Sinn, wie ich einen Staat, eine Revolution, ein Ideengebäude („Freiheit - Gleichheit - Brüderlichkeit“) ernst nehmen kann, wenn das auf einem solchen brutalen und blutigen Fundament errichtet wurde? Übrigens hat es der Autor verstanden, diese schlimmen Ereignisse mit einer gewissen Distanz zu beschreiben, so daß man zwar weiß, was passiert, von Details aber weitgehend verschont bleibt.

Die Figuren konnte ich mir in ihrer jeweiligen Zeit gut vorstellen, sie erwachten in meinem Kopf zum Leben und ließen mich mitfiebern, meist aber mitleiden, wenn es um die Geschichte von Angélique, der Tagebuchschreiberin, ging. Ich habe mich sowohl in der Gegenwart wie auch der Vergangenheit zuhause gefühlt, dem Autor ist es sehr gut gelungen, beide Zeiten/Welten zum Leben zu erwecken. Lediglich eine etwas eindeutigere graphische Trennung der Zeitebenen im Buch hätte ich mir gewünscht. Und eine Übersichtskarte wäre nicht schlecht gewesen.

Interessant auch die Konstellation: Leon ist Agnostiker, Mathèo, der ihm als einziger hilft, ein knurriger alter Bauer, der früher einmal Franziskaner war, und Angélique zweifelt eher am Menschen als an ihrem Glauben an Gott. Zwischen diesen entspinnen sich immer wieder Gespräche, sei es persönlich, sei es durch das Tagebuch, in denen es um Glaubensfragen ganz allgemein geht, aber auch um die Zeit und die Schriften des hl. Augustinus. Dabei sind diese Gespräche dermaßen gut in die Handlung integriert und ergeben sich mit einer Zwangsläufigkeit, daß es zu keiner Zeit aufgesetzt oder unnatürlich wirkt. Es ist jeweils ein Gedankenaustausch, wie er tatsächlich stattfinden könnte, und dem Buch zusätzliche Tiefe verleiht.

„All unser Beten muss die Antwort auf eine einzige Frage sein: vertraust du mir?“, so heißt es auf Seite 192. Dieses „Vertraust du mir?“ wird in der Folge noch öfters im Buch vorkommen und zu einem der Kernthemen werden. Es ist eine (An-)Frage, der sich auch der Leser immer weniger entziehen kann.

Nach über fünfhundert Seiten war die Geschichte dann erzählt, und ich habe sie innerlich gleichzeitig ruhig und doch bewegt beendet. Leon, Angélique und Mathéo werden mich, auch nach dem Ende, gedanklich noch lange begleiten. Sowie die Frage (nach S. 289), die immer wieder auftauchte, nicht nur an die Figuren, sondern auch an mich, an jeden Leser gerichtet: Wie ist es mit dir, auf wen setzt du dein Vertrauen? 

 

Kurzfassung

Ein beeindruckender und vielschichtiger Roman über Zeit, Vertrauen, Schicksal und das, was im und am Leben wichtig und sinnvoll ist.  

 

 

Über den Autor

Thomas Franke ist Sozialpädagoge und bei einem sozialen Träger für Menschen mit Behinderung tätig. In seiner Freizeit schreibt er gern witzige Geschichten und Fantasy-Romane. Er lebt mit Frau und seinen beiden Kindern in Berlin.  

Eine Aufstellung der Bücher von Thomas Franke finden Sie > hier bei christliche-literatur.com < .

Anmerkung und Bibliographische Angaben

* = Näheres zu dieser Theorie nachzulesen in Geoffrey Ashes Buch „König Arthus. Die Entdeckung von Avalon“ (Econ Verlag, 6. Aufl 1996)

543 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag; Verlag: Gerth Medien GmbH, Aßlar 2013  

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