„Seltsam“ dachte er. „Gerade wenn man denkt, man würde den Lauf der Welt verstehen ... Niemand weiß, was vor einem liegt.“* (Seite 2)

Cover: Walks in the SunZum Inhalt

Blue Jay ist ein charismatischer junger Krieger mit allem, was ein guter Anführer braucht. So ist es nicht schwer für ihn, einige andere zu überreden, mit ihm zu einer Expedition nach Süden aufzubrechen, um herauszufinden, ob es dort bessere Plätze für die Überwinterung gibt als die bisher bekannten. Walks in the Sun, der junge Medizinmann, fühlt, daß er diese Expedition begleiten sollte.
Zwei Jahre sind die Aufgebrochenen verschollen, viele halten sie für tot. Da plötzlich kommt Walks in the Sun völlig erschöpft zurück und hat den schwer kranken Blue Jay bei sich. Doch wo sind die anderen neun Teilnehmer der einstens Aufgebrochenen?
Als er sich erholt hat, beginnt er seine Erzählung von den Abenteuern der Reise. Er hat Unglaubliches zu berichten: von Kriegern, die Menschen essen, von Bergen die rauchen und von „Eidechsen“, die so groß sind, daß sie einen Menschen fressen können.

 

 

 

 

 

Meine Meinung

Wie schon im direkten Vorgängerband „Bride of the Morning Star“ liegen auch diesem bereits zwanzigsten Band der Spanish-Bit-Reihe historisch verbürgte Geschehnisse als Ideengeber zugrunde, nämlich eine Expedition von Kiowas aus einem lange vergangenen Jahrhundert. Es ist, so schreibt der Autor im Vorwort, allerdings nicht die Geschichte eben dieser Expedition, sondern er ließ sich durch die Tatsache, daß schon vor Jahrhunderten Angehörige der Stämme weite Strecken über den Kontinent reisten, zu seiner Erzählung anregen. Schon die Aufmachung des Buches und die Beigabe einer Landkarte deutet an, daß es sich hier um einen Roman handelt, der sich von den übrigen der Serie unterscheidet.

Dies zeigt sich auch in der Erzählweise, die erstmals durchgehend in Ich-Form geschrieben ist. Walks in the Sun, einer der Überlebenden der Expedition, berichtet nach seiner Rückkehr von den Erlebnissen, den Gefahren, den Katastrophen, aber auch den (wenigen) schönen Momenten der Reise. Durch die Ich-Erzählung vermeint man als Leser, mit am Lagerfeuer zu sitzen, seinem Bericht zu lauschen und alles selbst direkt mitzuerleben.

Von elf Kriegern, die einstens aufgebrochen sind, kehren nach rund zwei Jahren nur zwei lebend zurück, davon einer todkrank. So ist von der ersten Seite an klar, daß dies kein fröhlicher Roman werden kann. Über der Erzählung liegt eine Melancholie, die eine gewisse Traurigkeit mit sich bringt, niemals jedoch Hoffnungslosigkeit oder gar depressive Anwandlungen, wie sie bei einem anderen Autor vielleicht aufgekommen wären. Auch wenn das Buch nur wenig länger als die für die Serie übliche Seitenzahl ist (rechnet man die durch die wunderschöne Gestaltung bedingten Leerseiten heraus), vermittelt Coldsmith wie schon in „World of Silence“ das Gefühl einer epischen Erzählweise, die ganze Landschaften vor dem inneren Auge erstehen läßt.

Wie die meisten Bücher der Reihe, ist auch dieses für sich alleine lesbar und verständlich, wenngleich dann manche Anspielungen (z. B. auf Seite 77 eine Anspielung auf die frühere Expedition nach Santa Fe oder Seite 114 die Erwähnung der Kriegerin Running Eagle aus Band 6) und Bezüge unklar bleiben. Diese sind für das Verständnis dieser Geschichte jedoch nicht unbedingt notwendig, sie zeigen nur wieder, daß Coldsmith mit seiner Spanish-Bit-Serie eine eigene Welt mit ihrer Geschichte, ihren Mythen und Erzählungen geschaffen hat, die sich kontinuierlich vom ersten Band an ohne Bruch entwickelt. Schön fand ich an einer Stelle einen kurzen Verweis auf Strong Bow und Pretty Sky, die Helden aus Band 19 („Bride of the Morning Star“).

Was mich immer wieder fasziniert ist, wie sehr es Coldsmith gelingt, vollständig aus Sicht der Figuren und vor allem nur mit deren Wissen zu schreiben. Etwa wenn Walks in the Sun nach seiner Rückkehr versucht, einen Affen zu beschreiben - ein Tier, das ihm sowie seinen Angehörigen völlig unbekannt ist, oder so manche seltsamen im Dschungel gesehenen Vögel, von den Alligatoren ganz zu schweigen. Oder wenn die Gruppe ans Meer kommt und die Gezeiten erlebt, ohne sich einen Reim darauf machen zu können, weshalb das Wasser manchmal da ist und manchmal weg geht (vgl. S. 38f). Fast schon mystisch wird es, wenn die bis dahin Überlebenden eine von den Azteken erbaute Pyramide erreichen. Die „heute“ dort Lebenden wissen nichts mehr von den Azteken, sie sprechen von Ihnen als den „Ancient Ones“, den „Früheren“. Walks in the Sun, als Medizinmann von Berufs wegen an spirituellen Dingen interessiert, verbringt auf der Pyramide die Nacht, um deren „Geist“ zu erfassen, und sieht in einer Traumvision Rituale der Azteken, die auf diese Weise vom Autor geschickt an passender Stelle eingefügt wurden. Ich hatte von diesen bereits früher an anderer Stelle gelesen, für Walks in the Sun sind die Erkenntnisse neu und erschreckend - und auch hier wieder vollständig aus seiner Sicht beschrieben. Das Einfühlungsvermögen von Don Coldsmith und seine Fähigkeit, Dinge und Geschehnisse alleine aus Sicht der Figuren und ohne unsere heutigen Kenntnisse zu beschreiben, erstaunt mich immer wieder, obwohl ich es inzwischen gewohnt sein sollte.

Auch wenn diese Reise fiktiv ist, auch wenn von den handelnden Figuren keine wirklich gelebt hat, und auch, wenn die im Buch beschriebenen Geschehnisse sich vor über dreihundert Jahren ereignet haben (bzw. hätten), könnten „wir“ heutige so manche nützliche Lehre daraus ziehen. Wenn „wir“ denn lernfähig wären, woran mir zunehmend Zweifel kommen. Zum Beispiel „Um so größer die Gabe, um so größer die Gefahr des Mißbrauchs durch den, der sie mißbraucht“ **. Oder so wie Walks in the Sun aus den Erlebnissen seiner Reise den Schluß zog, daß es gut ist, sich seiner Herkunft und seines Erbes zu entsinnen. Wer man ist - und wo man hin gehört. Wo man zuhause ist. (vgl. S. 235)

 

Mein Fazit

Eine Expedition ins Unbekannte - elf ziehen los und nur zwei kehren lebend zurück. Ausgehend von historischen Ereignissen beschreibt Coldsmith überzeugend aus Sicht der Reisenden deren Erlebnisse und Gedanken bei der Erforschung einer ihnen völlig fremden Welt. Bezwingend, fesselnd, grandios.

 

 

Über den Autor

Don Coldsmith, geboren 1926, arbeitete bis 1988 in Kansas als Arzt. Mit seiner Frau Edna betrieb er zudem eine kleine Farm und Pferdezucht. Er schrieb insgesamt über 40 Bücher und starb am 25. Juni 2009.

Originaltexte und Bibliographische Angaben meiner gelesenen Ausgabe

* = Forgive me, my friends ... my voice trembles and becomes halting, and tears come to my eyes. I am grateful to be home...“ (S. 9)
** = And the greater the gift, the greater the danger to one who misuses it. (S. 234)

243 Seiten, Landkarte, Stammtafel, gebunden mit Schutzumschlag
Verlag: Bantam Books New York/London/Toronto/Sydney/Auckland 1992; ISBN-10: 0-553-08262-0, ISBN-13: 978-0-553-08262-3

 

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