Erstaunt sah er ringsum eine plötzliche Veränderung des Lebens, neue Verhältnisse, ganz unerhörte Forderungen, und ihm kam vor, als wenn alles gute mit dem Alten zu Grunde ginge.  (Seite 125)

 

Cover: Gustav Freytag WerkausgabeZum Inhalt

Aus Anlaß des Erscheinens der ersten Auflage der „Gesammelten Werke“ 1886 schrieb Gustav Freytag diese Autobiographie. Hier erzählt er aus seinem Leben, beginnend mit einem Überblick über seine Vorfahren, seine Kindheit und Jungend in Kreuzburg und Breslau sowie sein beruflicher Werdegang, der ihn für viele Jahre mit Julian Schmidt zum Herausgeber der „Grenzboten“ machte, bevor er sich ganz seiner schriftstellerischen Tätigkeit widmete und nur noch gelgentlich journalistisch tätig war. Wir erfahren viel über die Entstehung seiner Bühnenstücke wie auch der Romane und einiges über seinen Bekanntenkreis, in dem sich etliche auch heute noch geläufige Namen befinden.  

 

 

Kommentar / Meine Meinung

Der Satz, den ich über diese Rezi gestellt habe, bezieht sich auf den Vater Gustav Freytags, der jahrelang Bürgermeister in Kreuzburg gewesen war, und 1848 gestorben ist. Es ist schon seltsam, daß sich manche Dinge anscheinend nie ändern, denn solche Aussagen finden sich für die Zeit davor bis in die unsrige hinein. Zumindest die Veränderung scheint ein Kontinuum zu sein, das Menschen immer wieder gewisse Schwierigkeiten bereitet.

Wie sehr sich die Welt seit der Lebenszeit Freytags verändert hat, wird bei der Lektüre an vielen Stellen deutlich. Ob immer zum besseren, sei dahingestellt. Veränderung fängt schon bei der Sprache an. Und auch da wieder Allzubekanntes: Freytag wettert nicht gerade, weigert sich jedoch (bezieht sich auf 1875), die neue Rechtschreibung anzunehmen.

Was mir in dem Buch leider etwas gefehlt hat, waren private Dinge; damit ist er sehr zurückhaltend. Wir erfahren etwas über die Vorfahren, Verschiedenes aus seiner Kindheit und Jugend, aber relativ wenig aus dem privaten Bereich des Erwachsenen Freytag. Seine Hochzeit mit Emilie Scholz findet Erwähnung, daß er „eine alte Jugendfreundin geheiratet habe“ (aus dem Gedächtnis zitiert). Später schreibt er, daß sie erkrankt sei und sich davon nicht mehr erholt habe. Will man mehr über den (Privat-) Menschen Freytag wissen, muß man wohl zu zu älteren Biographien, wie etwa dem Büchlein von Friedrich Seiler (Leipzig, Voigtländers Verlag 1898) oder der umfangreicheren von Hans Lindau (Leipzig, Verlag von S. Hirzel, 1907) greifen müssen.

In seiner Autobiographie berichtet er eher von der Entstehung seiner Werke und gibt dazu manch interessante Hintergrundinformation. Zunächst schien sein Weg der eines Theaterdichters zu sein. Die ersten Stücke entstehen, und schließlich stellt sich der Erfolg ein. In der Beschreibung jener Jahre (Seite 127ff) wird eine längst vergangene Zeit dem Vergessen entrissen und Menschen, von denen vermutlich nicht mal mehr ein Grab vorhanden ist, werden nochmals zumindest auf dem Papier lebendig. Für mich, der sich mit Theatergeschichte kaum auskennt, war dabei neu interessant zu erfahren, daß das Theater, wie wir es heute kennen (also mit Vorhang) damals durchaus nicht üblich war, sondern erst in Mode kam; Szenenwechsel oder gar Umbauten geschahen auf offener Bühne. Als Eduard Devrient zu Freytag kam, um ihm mitzuteilen, daß man im Bühnenverein beschlossen habe, Szenenwechsel künftig mit einem Zwischenvorhang zu gestalten, rief dies, was man sich heute kaum noch vorstellen kann, nicht nur eitel Freude hervor. Aus seinen jahrelangen Erfahrungen mit der Theaterarbeit ist seine „Technik des Dramas“ entstanden. Ein Werk, das auch heute noch Gültigkeit besitzt und beispielsweise vor etwa zwei Jahren in der Schule meiner Tochter im Fach „Darstellendes Spiel“ benutzt wurde.

Einen Schwerpunkt des Buches bilden naturgemäß die Erinnerungen an die Zeit mit den „Grenzboten“. Aber erst beim Lesen wurde mir der große Bekanntenkreis Gustav Freytags bewußt. Er berichtet von Begegnungen mit Richard Wagner, Ludwig Tieck oder Berthold Auerbach, um nur einige zu nennen.

Was mich gefreut hat, war etwas über die Hintergründe und Entstehung seiner Romane zu erfahren. „Die verlorene Handschrift“ zählt seit meiner Jugend zu meinen absoluten Lieblingsbüchern; keine Ahnung, wie oft ich das schon gelesen habe. Hier erfährt man einiges über die Hintergründe und Entstehung, sowie ob und wenn ja, welche Vorbilder es im realen Leben gibt. Beispielsweise auch, daß er in dem heute teilweise umstrittenen „Soll und Haben“ eigene Erfahrungen mit hat einfließen lassen; sei es für die Kämpfe im polnischen Teil des Buches, sei es aber auch für die Figur des Veitel Itzig. Er hat einige Jahre lang als Bevollmächtigter eines Verwandten gegen solch einen Wucherer vor Gericht gekämpft.

Freytag nahm regen Anteil am politischen Leben seiner Zeit, nicht nur als Journalist, sondern für kurze Zeit auch als Abgeordneter der Nationalliberalen Partei im Reichstag. Weshalb er dort nur ein Mal das Wort ergriff - auch das erfährt man in seinen Aufzeichnungen. Bei alledem macht der Autor kein Hehl aus seinen Überzeugungen, in denen er für die sogenannte kleindeutsche Lösung unter Führung Preußens eintritt. Vieles, von dem er berichtet, kann man heute in den Geschichtsbüchern nachlesen. Insofern fand ich es reizvoll, die Geschehnisse von einem Zeitgenossen, der in seiner Zeit und ihren Einstellungen verwurzelt ist, erzählt zu bekommen und so einen direkten Einblick in die Vergangenheit zu erhalten.

Das letzte Kapitel schließlich berichtet von seinem letzten großen Werk, dem Romanzyklus „Die Ahnen“, womit sich für mich ein Kreis geschlossen hat. Denn vor vielen Jahren waren es eben diese Romane, welche die erste Begegnung mit dem Autor waren.

Abschließend sei noch angemerkt, daß es durchaus interessant ist, zum Vergleich ein etliche Jahre früher entstandenes Buch, nämlich die „Jugenderinnerungen eines alten Mannes“ des Wilhelm von Kügelgen zu lesen. Zwar berichtet er nur über die ersten beiden Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts, zudem meist in Dresden und Umgebung, aber seine so ganz andere Erzähl- und Sichtweise kontrastiert mit der Freytags und vermag so zur Abrundung des Gesamtbildes beizutragen.  

 

Kurzfassung

Insgesamt gesehen bieten die „Erinnerungen“ Freytags einen bemerkenswerten Einblick in einige Jahrzehnte deutscher Geschichte aus der Sicht eines Zeitgenossen.  

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Über den Autor

Gustav Freytag wurde am 13. Juli 1816 in Kreuzburg (Schlesien) geboren. Sein Vater Gottlob Ferdinand war Arzt, seine Mutter Henriette Albertine eine geborene Lehe. Mit Unterbrechung war Gottlob Ferdinand Bürgermeister von Kreuzburg. Freytag studierte bei Hoffmann von Fallersleben und Karl Lachmann. Da er aus politischen Gründen keine Professorenstelle bekam, wurde er zunächst Privatdozent in Breslau tätig. Ab 1848 gab er gemeinsam mit Julian Schmidt die nationalliberale Zeitschrift „Die Grenzboten“ heraus. Seine Artikel brachten ihm u. a., daß er von Preußen steckbrieflich gesucht wurde. Er ließ sich schließlich in Siebleben bei Gotha nieder, wo ihm später von Herzog Ernst II. von Sachsen-Coburg und Gotha der Hofratstitel verliehen wurde. Von 1867 - 1870 saß er für die Nationalliberale Partei im Reichstag. 1870/1871 war er als Begleiter und Berichterstatter des Kronprinzen Friedrich von Preußen im Deutsch-Französischen Krieg dabei. 1893 wurde er zur Exzellenz ernannt und erhielt den Orden Ordens Pour le mérite der Friedensklasse.
Freytag war in erster Ehe mit Emilie Scholz verheiratet, die 1875 starb. Mit seiner zweiten Frau Marie Kunigunde Dietrich, von der er 1890 geschieden wurde, hatte er zwei Kinder. Im Jahre 1891 heiratete er in dritter Ehe Anna Strakosch, die er seine „Ilse“ nannte. (Quelle: „Gustav Freytag. Briefe an seine Gattin“, Berlin 1912, Vorwort von Hermance Strakosch-Freytag). Nach der Lektüre der „Verlorenen Handschrift“ wird klar, was dieser Vergleich bedeutet.
Gustav Freytag starb am 30.4.1895 in Wiesbaden und liegt in Siebleben (heute ein Stadtteil von Gotha) begraben.  

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Bibliographische Angaben meiner Ausgabe

Band 1 aus den Gesammelten Werken in 22 Bänden, Verlag von S. Hirzel, Leipzig, 2. Auflage 1896, Seite 1 - 256