“Und da soll mal einer sagen, Gottes Wege seien nicht zu durchschauen“!“
„Das sind sie für uns Menschen nicht immer.“
„Aber meist liegt es wohl an unserem beschränkten Horizont! Was wir nicht überblicken und was wir nicht können, das kann Gott auch nicht - so denken wir doch, nicht wahr?“ (Seite 177)

 

Cover: Skarabäus und Schmetterling

Zum Inhalt

1922. Die junge Sarah reist mit ihrer Ziehmutter Lady Alison nach Ägypten, um Howard Carter, der im Tal der Könige das Grab von Tutenchamun entdeckt, zu besuchen. Doch kaum sind sie in Ägypten angekommen, gerät sie in immer größere Schwierigkeiten. Jemand scheint ihr nach dem Leben zu trachten.
2011. Auf dem Markt tauchen immer neue Artefakte aus dem Grab des Tutenchamun auf. Rahel, die vor ihrem Studium im Berliner Neuen Museum arbeitet, gerät unter Verdacht und wird sogar von Europol bespitzelt. Zusammen mit Daniel und seiner Frau Emma sowie ihrem Jugendfreund Falk versuchen sie, Licht in die mysteriöse Angelegenheit zu bringen. Dabei unterstützt sie Duke Taylor, der jedoch noch ganz andere Motive als selbstlose Hilfe hat.  

 

 

Kommentar / Meine Meinung

Wieder so ein Buch, bei dem ich nicht so recht weiß, wie ich eine Rezension verfassen soll. Nicht, weil mir nichts einfiele, sondern weil mir so viel einfällt, daß es schwer zu entscheiden ist, was ich weglassen soll. Was mich gleich zu meinem einzigen wirklichen Kritikpunkt bringt: das Buch hätte auf zwei Bände aufgeteilt werden können und sollen. Andererseits bekommt man so zwei Bücher für den Preis von einem - auch nicht zu verachten.

Wie schon das Vorgängerbuch „Das Mädchen aus Herrnhut“ spielt auch dieses Buch auf zwei Zeitebenen: der erste Teil beginnt 1922, der zweite im Jahre 2011. Wie diese beiden Teile zusammenhängen, was sie zweifelsfrei tun, werde ich hier natürlich nicht verraten. Beide Abschnitte sind, was Umfang und Handlung betrifft, vollwertige Romane und deutlich umfangreicher als manches Buch, das ich in den letzten Monaten gelesen habe. Die Autorin hat mich im ersten Teil so tief in die Geschichte hineingezogen, daß ich mich, als sie nach 265 zu wenigen Seiten am Ende angelangt war, nur schwer von den Figuren, die ich durch aufregende und gefährliche Zeiten hindurch (lesend) begleitet hatte, verabschieden konnte.

Bisher noch nie ist es mir bei einem Buch mit zwei Zeitebenen passiert, daß ich in der späteren dermaßen noch die frühere im Kopf hatte, dauernd daran denken mußte, daß Sarah und ihre Lieben längst verstorben und ihre Gräber möglicherweise schon lange eingeebnet sind. Nur Erinnerungen in Form von Überlieferung oder das, was sie in irgendeiner Form hinterlassen haben, zeugt noch von ihrer Existenz.

Und doch beeinflußt die Vergangenheit, auch wenn wir sie nicht kennen, vielleicht nicht mal erahnen, die Gegenwart mehr, als uns bewußt, manchmal möglicherweise auch lieb ist. Das beginnt schon beim Prolog im Jahre 1327 v. Chr., der auf den ersten Blick seltsam erscheinen mag, aber Geschehnisse ins Rollen bringt, die noch dreitausend Jahre später die Geschicke von Menschen beeinflussen.

Im ersten Teil begegnen wir der sehr selbstbewußten Lady Alison und ihrer schüchternen Ziehtochter Sarah. Beide scheint ein Geheimnis zu umgeben, das sie so interessant macht, daß, kaum sind sie in Kairo angekommen, bald Mißgeschicke passieren, die man bei genauerer Betrachtung auch als Mordanschläge bezeichnen könnte. Immer wieder besuchen sie das Tal der Könige, in dem ihr Bekannter Howard Carter mit seiner letzten Ausgrabung, bei der er das Grab von Tutenchamun entdeckt, zugange ist.

In Ägypten machen die die Bekanntschaft von Alexander Sattler, einem deutschen Journalisten, und dem amerikanischen Antiquitätenhändler Jacob Miller, die es sich zur Aufgabe machen, Sarah bei den immer häufiger auftretenden „Mißgeschicken“ zur Seite zu stehen und die Ursache bzw. den Urheber herausfinden wollen.

Um die Entdeckung des Pharaonengrabes herum hat Elisabeth Büchle eine immer spannender und verworrender werdende, fast schon thrillerartige Handlung entworfen, die Fakt (die Entdeckung und Freilegung des Grabes) und Fiktion so geschickt vermischt, daß man sich bisweilen unwillkürlich fragt, weshalb in den Annalen jener Zeit nicht eine Lady Alison und ihr Mündel Sarah auftauchen. Dabei hält die Autorin sich, wie sie an anderer Stelle schrieb, in Bezug auf die Ereignisse um das Pharaonengrab an die überlieferten Berichte, so daß man das Gefühl hat, direkt dabei gewesen zu sein.

Zeit, Figuren, Ägypten wurden dermaßen lebendig und treffend beschrieben, daß ich, als dieser Teil langsam ausklang, das Gefühl hatte, tatsächlich bei jenen Ereignissen dabei gewesen zu sein und mich von guten Freunden verabschieden sollte.

Dieses Gefühl des Abschieds hat mich den ganzen zweiten Teil hindurch begleitet, vor allem dann, wenn auf die Ereignisse (oder aus Sicht von 2011 natürlich vermeintlichen Ereignisse) des ersten Abschnitts Bezug genommen wurde. Erst nach und nach kommen die Verbindungen, für uns Leser eher als für die Figuren, zutage, die beide Zeiten verbinden. Dabei ist es der Autorin gelungen, etliche Überraschungen unterzubringen. Die Handlung hat hier ein deutlich höheres Tempo, auch der modernen Welt geschuldet. Das ganze Buch, vor allem aber den zweiten Teil hindurch, zieht sich ein Humor, der mich immer wieder zum laut Auflachen brachte, und so ein angenehmes Gegengewicht zu der bisweilen doch recht großen Spannung bietet. Frau Büchle hat einfach ein Händchen und Gespür für die richtigen Paarungen, seien es nur Liebes-, Freundes- oder Kollegenpaare. Bei ersteren hat mir, wie schon in den früheren Büchern, besonders gefallen. daß sich Beziehungen nicht hopplahopp, sondern langsam entwickelt haben.

Es ist nicht zwingend notwendig, den Vorgängerband zu kennen. Wenn es Bezüge oder Hinweise gibt, werden diese kurz erläutert, so daß man auch ohne die Kenntnis hier gut zurecht kommt. Aber natürlich ist es nicht unbedingt ein Nachteil, wenn man Daniel und Emma, Rahel und Falk schon mal begegnet ist und sie dadurch besser einschätzen kann, in Bezug auf ihre Entwicklung - oder auch Nichtentwicklung. Falk etwa hat sich so sehr nicht verändert, ist vielleicht sogar noch eine Spur frecher und übermütiger geworden und sorgte bei mir alle paar Seiten für lautes Auflachen. Zumal er in Duke, der „Zufallsbekanntschaft“ von Rahel, einen weitgehend ebenbürtigen Gegenpart gefunden hat.

Deutlich offener als seinerzeit Sarah gerät hier Rahel ins Blickfeld von Kriminellen, die ihr anscheinend nach dem Leben trachten. Da die Vorliebe ihrer Familie für Ägypten bekannt ist, gerät sie zudem in Verdacht, unbefugt Gegenstände aus dem Grab des Tutenchamun zu besitzen und zu verkaufen, was Europol auf den Plan ruft. In der Folge entwickelt sich ein Verwirrspiel, bei dem der Leser bald noch weniger durchblickt als die Figuren selbst. Fast jeder gerät im weiteren Verlauf in Verdacht, und bald weiß man nicht mehr, wem man eigentlich noch trauen kann. Irgendwann gab ich es dann auch auf mitzuraten und habe nur noch auf die Auflösung gewartet. Und dennoch ist das eines der wenigen Bücher, bei denen ich tatsächlich sowohl den/die Hauptdrahtzieher/-in einschließlich des Motivs richtig geraten habe.

So, wie im ersten Teil die Welt des Ägypten der frühen zwanziger Jahre lebendig wurde, so wirklich wurde dann die Welt in und um London (sowie zunächst Berlin) des 21. Jahrhunderts. Fast schon so etwas wie Wehmut befiel mich, als es dann zum „direkten“ Vergleich Kairo früher und heute kam. Wie schon das „Mädchen aus Herrnhut“, geht auch dieses Buch mit einem filmreifen Showdown, der die aktuellen politischen Ereignisse des Jahres 2011 mit einbezieht (Stichwort arabischer Frühling) zu Ende.

Was dieses Buch aber vom „Mädchen“ unterscheidet, ist der noch deutlichere Einfluß der Vergangenheit auf die Gegenwart, das Aufzeigen von Parallelen und Beeinflussungen, die vorhanden, selbst wenn sie den betroffenen Personen überhaupt nicht bewußt sind oder bewußt sein können. So fallen immer wieder Parallelen zwischen der Handlung in 1922 und derjenigen des Jahres 2011 ins Auge und wie die Menschen früher wie heute sich ähnlichen Problemen und Schwierigkeiten jeder für sich selbst aufs Neue stellen und diese bewältigen müssen. Dabei kann es durchaus sein, daß man von früheren Generationen lernen kann - nicht jeder muß jede Erfahrung neu machen; es kann lohnend sein, auf diejenigen früherer Zeiten zurückzugreifen.

Daneben spielt das Thema der Vergebung eine Rolle; Sarah und später auch Rahel müssen jede für sich die Erfahrung machen, und entscheiden, wie sie damit umgehen, wie weit sie gehen, womit sich für den Leser die Frage stellt, wie er (oder sie) es denn damit hält.

Am Ende angekommen, heißt es wirklich Abschied nehmen von Figuren, von welchen es mir schwer fällt zu glauben, daß sie nur fiktiv sein sollen; denn im Verlauf der über fünfhundertfünfzig Seiten, nicht zu vergessen die des Vorgängerbandes, sind sie zu so etwas wie guten alten Freunden geworden, an deren Seite ich mehr Abenteuer erlebt habe, als ihnen selbst lieb gewesen ist.

Allerdings gibt es im Nachwort einen Hinweis der Autorin, daß da möglicherweise noch ein Buch nach kommt. Nachdem Rahel ihre Geschichte hat, bleibt vom alten Quartett noch Falk übrig. Auf seine Geschichte bin ich dann besonders gespannt.

Beendet wird das Buch durch einen Epilog, der den Kreis schließt und endgültig verdeutlicht, wie die Vergangenheit auf die Gegenwart Einfluß nimmt, was den einen oder anderen zum Nachdenken über die Einflüsse früherer Zeiten und Generationen auf das eigene Leben veranlassen kann. 

 

Kurzfassung

Eigentlich zwei spannende Romane mit Tiefgang in einem Band; mit Themen wie Vergebung und dem Zusammenhängen von Vergangenheit und Gegenwart. Unbedingte Leseempfehlung.  

 

 

Über die Autorin

Elisabeth Büchle wurde 1969 in Trossingen geboren und absolvierte sowohl eine Ausbildung zur Bürokauffrau als auch zur Altenpflegerin. Sie wohnt mit ihrem Mann und den fünf Kindern im süddeutschen Raum.  

Bibliographische Angaben

575 Seiten, Glossar, gebunden. Verlag: Gerth Medien GmbH, Asslar 2015