„Hunger haben sie heute“, antwortete er knapp. „Das Sterben kommt erst später.“ (Seite 110)

 

Cover: Berlin FeuerlandZum Inhalt

Hannes schlägt sich als „Fremdenführer“: er führt reiche Damen zur Besichtigung durch das Armenviertel Feuerland. Bei dieser Gelegenheit lernt er Alice, die Tochter des Kastellans des Berliner Stadtschlosses, kennen. Trotz der großen gesellschaftlichen Unterschiede sind sie sich sympathisch und es entwickeln sich leise Gefühle.
Aber dann kommt der März 1848 mit seiner Revolution und Hannes findet sich neben seinem Freund Kutte auf den Barrikaden wieder.

 

 

 

 

Kommentar / Meine Meinung

Es ist einige Tage her, daß ich dieses Buch ausgelesen habe, denn es hat mich in gewisser Weise sprachlos zurück gelassen und die vielen Gedanken, die mir nach dem Ende im Kopf herumschwirrten, mußten erst einmal sortiert und geordnet werden. Das Buch hat mich so mitgenommen, daß ich für eine Woche keinen anderen Roman zu lesen beginnen konnte. Das ist mir dermaßen stark schon lange nicht mehr passiert, was andeutet, wie sehr mich dieses Buch getroffen und beeindruckt hat.

In der Schule kamen und kommen die Ereignisse, von denen in diesem Roman die Rede ist, nur wenig vor. Sicher ist das Eine oder Andere bekannt. „Kartätschenprinz“ ist ein Begriff, an den ich mich entsinne. Und „Märzrevolution“ ebenfalls, hat doch in Dresden auch ein gewisser Richard Wagner auf den Barrikaden gestanden. Aber was ist mit Detailwissen, genaueren Umständen und Hintergründen?

Da setzt dieser Roman an, der ein recht eindringliches Bild von den Zuständen und Ereignissen jener Tage in Berlin zeichnet, so daß man eine Ahnung davon bekommt, was sich seinerzeit abgespielt hat. Dabei fängt das Buch mit einem auf den ersten Blick etwas irritierenden Prolog bei Paris an. Im weiteren Verlauf wird jedoch klar, von wem da die Rede und was sein Auftrag ist.

Wie viele Wirklichkeiten gab es noch in Berlin außer ihrer eigenen? (Seite 37), so fragt sich Alice, nachdem sie von Hannes das Elend im Feuerland gezeigt bekommen hat. Es sind erschütternde Verhältnisse, in denen die Arbeiter der ersten Fabriken hausen (denn wohnen kann man das nicht bezeichnen). Während nur wenige Straßen weiter Pomp und Luxus herrschen. Es ist gut nachzuvollziehen, wenn Alice als Folge dieses „Ausflugs“ bie Annehmlichkeiten ihres Lebens bewußt werden. Was für sie selbstverständlich ist, ist für andere außerhalb des Vorstellungsvermögens.

Wenn man diese krassen Gegensätze sieht, wundert es einen nicht, wenn das irgendwann zum Aufstand, zur Revolution kommen mußte. Verwunderlich vielleicht nur, weshalb das so lange gedauert hat.

Mit Hannes, der im Feuerland lebt, und Alice, die bei ihren Eltern im Schloß wohnt, hat Titus Müller zwei sympathische Figuren geschaffen, die gleichzeitig die damals herrschenden Unterschiede und Differenzen zwischen den gesellschaftlichen Gruppen verkörpern und deutlich machen. Zwischen beiden entwickelt sich eine zarte Beziehung, die im Verlauf aber auf eine harte Probe gestellt wird.

Im Buch tauchen natürlich auch eine ganze Reihe von historischen Personen auf; es ist erschütternd zu lesen, wie sehr der König offensichtlich in seiner Sicht der Dinge gefangen war und wie wenig er (und viele andere) sich für die Belange des „kleinen Mannes“ interessiert haben. Von den Militärs, die einfach drauf los schießen wollten, ganz zu schweigen. Es wäre ein interessantes Gedankenspiel zu überlegen, wie die Ereignisse verlaufen wären, hätten die Besonnenen die Oberhand gehabt.

Auf beiden Seiten, denn auch auf Seiten der „Revolutionäre“ gab es Falken und Tauben. Aber so festgefahren, wie die Verhältnisse, so groß die aufgestaute Frust und Wut waren, mußte es wohl zur Explosion kommen. Hierzu liest man einiges im sehr ausführlichen und informativen Nachwort, in welchem der Autor einiges zu den damaligen Geschehnissen schreibt und auch die wichtigsten historischen Personen vorstellt. Noch nie ist mir in einem Roman ein so gutes, umfangreiches und vorbildliches Nachwort begegnet wie hier!

Unweigerlich führt das Buch dazu, daß man sich Gedanken macht und Vergleiche zieht zwischen damals und heute. Wie sehr haben sich die politischen und wirtschaftlichen Gegebenheiten in den vergangenen hundertsechzig Jahren verändert - und wie wenig schätzen wir das Erreichte. Ja, nehmen es oft gar nicht wahr, sondern als selbstverständlich, geradezu gottgegeben, hin. Das Buch kann ein Anlaß sein, darüber nachzudenken und vieles (wieder) bewußt, oder vielleicht überhaupt erst wahrzunehmen.  

 

Kurzfassung

Ein tief beeindruckender und absolut lesenswerter Roman über die Märzrevolution 1848.  

 

 

Über den Autor

Titus Müller wurde 1977 in Leipzig geboren, studierte Literatur, Geschichtswissenschaft und Publizistik, und veröffentlichte mit 24 Jahren seinen ersten Roman. Mit seiner Familie lebt er in Bayern.  

Bibliographische Angaben

478 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag. Verlag: Karl Blessing Verlag, München 2015  

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