Cover: Lied für eine dunkle Königin

 

Zum Inhalt

In einem letzten verzweifelten Aufstand versuchten die keltischen Stämme Britanniens im ersten Jahrhundert nach Christus, ihre Freiheit gegen die Römer zu verteidigen. Den Aufstand führte eine Frau, die icenische Königin Boudicca. Wer war sie? Wie sah das Leben in einem keltischen Stamm aus, der nur Herrscherinnen kannte?
Cadwan, der alte Harfenspieler am Hofe der Icener, ersinnt und singt das Heldenlied der Boudicca. Er kennt die stolze, eigenwillige Königin seit ihrer Geburt und hat sie liebgewonnen. Keiner könnte genauer und teilnahmsvoller aus ihrem Leben erzählen als er: von ihrer Geburt, vom Tod des Vaters und der Mutter, von Prasutagus, ihrem Gemahl, den sie zunächst energisch ablehnt, von der Geburt ihrer beiden Töchter Essylt und Nessan. Doch über die glücklichen Jahre senkt sich immer bedrohlicher der Schatten der Eroberer, der Römer. Als sie die Kelten schließlich ganz ihrer Freiheit berauben wollen, erhebt sich Boudicca und sammelt ein Zehntausende zählendes Heer um sich.

 

Kommentar / Meine Meinung


Es klingt ein Lied herüber aus dunklen Tagen, das uns kündet von heldenhaften Taten und schmerzvollem Leid, von abgrundtiefer Verzweiflung und großer Hoffnung. Dort hinten, im Apfelgarten, liegt Cadwen, der Harfner der Königin. Alt ist er geworden, alt und grau. Leisten wir ihm etwas Gesellschaft, wenn er aus längst vergangenen Tagen erzählt. Oder war alles erst gerade? Was bedeutet schon Zeit, wenn die Welt, in der man aufgewachsen ist, dem Untergang geweiht ist? Grausam mahlt der Mühlstein der Zeit, wie ein Sturmwind fegt die Veränderung durch das Land. Wer wird zermahlen, wer vom Sturm mitgenommen, wer von ihm erschlagen? So laßt uns dem letzten Lied des Harfners lauschen. Dem Lied von einer Königin und ihren großen Siegen, und letztlich ihrem Untergang. So wie er es einstens der siebenjährigen Boudicca versprochen hat.

Und weil es eben schlechte und gute Jahre geben muß, gingen sie vorbei. Viel zu kurz sind die guten Jahre, selbst wenn sie an Zahl mehr sind als die schlechten. Doch welch kurze Zeit reicht aus, die Ernte vieler guter Jahre zu vernichten? Und so nehmen auch die schlechten Jahre mehr Platz im Lied ein als die guten, denn was läßt sich über gute schon groß berichten?

“Es ist besser, für dunkle Zeiten Pläne zu schmieden, solange es noch hell ist.“ Keinen Tag zu spät hat Prasutagos, der König, nach dieser Erkenntnis gehandelt, kurz darauf wird es dunkel. Sehr dunkel, denn neben jedem Menschen schreitet von Geburt an der Tod einher. Und er verlangt nun sein Recht, Prasutagos’ Zeit ist abgelaufen. Die Römer jedoch erkennen weder eine rechtmäßige Königin an, noch das ordnungsgemäß gemäß dem römischen Recht verfaßte Testament des Prasutagos. Kaiser Nero braucht Geld für seine Spiele und Amphitheater. Großzügigerweise geht er davon aus, daß der verstorbene Ikenerkönig nur „versehentlich“ nicht Nero zum Alleinerben eingesetzt hat. Er - bzw. der Statthalter Roms - konfisziert den Besitz des verstorbenen Königs und vergreift sich an dem der Boudicca. Und an ihr selbst sowie ihren Töchtern. Das jedoch ist der Tropfen, der das Faß zum Überlaufen bringt, und der Aufstand bricht los. Unter der unangefochtenen Führung Boudiccas vereinen sich die Kelten, aus verfeindeten Stämmen werden Verbündete, und sie ziehen gemeinsam gegen die Besatzer. Camoludunum, Verulanium und Londinium werden eingenommen und dem Erdboden gleich gemacht, bevor es zur Entscheidungsschlacht kommt. Obwohl auf einen römischen Soldaten zehn keltische kommen, werden sie vernichtend geschlagen. Die Sache der Kelten ist verloren, Britannien für lange Zeit römisch.

Was sich so nüchtern liest, hat die Autorin den Harfner Cadwan in der Ich-Form erzählen lassen. So erfahren wir auch nur, was er erlebt hat oder vom Hörensagen her kennt. Vielleicht etwas ungewohnt, in einer bisweilen irgendwie spröden, distanzierten Sprache, berichtet er von der Geburt bis zum Tode Boudiccas. Läßt weder die Greueltaten der Römer noch die der Kelten aus. Was uns erschaudern läßt, ist für ihn normal. Eine andere Weltsicht tritt zutage, eine Sicht, wie sie wohl die Zeitgenossen damals hatten. Er würde unsere Ablehnung der Opfer, unsere Verurteilung der Grausamkeiten an Zivilisten wohl nicht verstehen. Ich hatte über weite Strecken in der Tat das Gefühl, in einer Halle zu sitzen und dem Gesang des Barden zu den Klängen seiner Harfe zu lauschen, rundherum alles mucksmäuschenstill und gebannt an den Lippen des Sängers hängend, um ja kein Wort zu verpassen.

Rund einhundertneunzig Seiten, in denen ich gefangen war in einer anderen Zeit, einer anderen Lebenseinstellung, und mich mitgefreut, aber vor allem mitgelitten habe mit den von Rom unterdrückten Kelten. Nachdem mir so praktisch vor Augen geführt wurde, womit und wodurch die Größe Roms erkauft wurde, hat selbige für mich einen schalen Beigeschmack bekommen. Doch die Geschichte schreiben in der Regel die Sieger, wer denkt da noch an die Verlierer.

Ich habe das Buch in einem Tag regelrecht verschlungen, und noch immer dröhnt der Nachhall der Kampf- und Schmerzensschreie in meinem Kopf. Unterbrochen wird das Lied von Briefen eines gewissen Gneus Iulius Agricola an seine Mutter, in denen er über die Ereignisse aus Sicht eines Römers berichtet (was recht interessant ist). Ich gebe zu, parteiisch für die Kelten zu sein; es ist nur ein geringer Trost, daß auch die Herrschaft Roms einmal ihr Ende fand. Fast hätte ich gesagt, ihr verdientes Ende.

Nun laßt uns noch eine Weile beim Harfer sitzen bleiben, ihm lauschen, während er sein letztes Lied erzählt. Denn was zählt noch Zeit, jetzt, da alles vorbei ist.

Es ist lange her, daß ich Harfner bei der Königin war. Vielleicht es es nicht so lange her, ich weiß es nicht. Vor einer Weile hörte ich die Frauen bei der Totenklage.
Nicht mehr.
Nichts mehr.

 

Mein Fazit

Gleich einem Heldenepos aus vergangener Zeit singt uns Rosemary Sutcliff ein Lied von der dunklen Königin der britannischen Kelten. Kraftvoll entreißt sie Boudicca und ihre Gefährten dem Dunkel der Geschichte und läßt uns ihr tragisches Ende miterleben.

 

Bibliographische Angaben

Aus dem Englischen von Astrid von dem Borne
196 Seiten, gebunden, Verlag Freies Geistesleben, Stuttgart 1996

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