„Ein Genie ist er, Frau! Ein Genie, wie alle hundert Jahre mal eins auf die Welt kommt!“ (Seite 68; Neefe)
Dann war er allein, und seine Seele breitete ihre Schwingen zum Fluge in die Unendlichkeit. (Seite 363)

 

Cover: Felix Huch - BeethovenZum Inhalt

Ursprünglich in zwei Teilen erschienen, umfaßt der Roman das Leben Ludwig van Beethovens: Der junge Beethoven erzählt von seiner Geburt 1770 bis hin ins Jahr 1792, als er endgültig nach Wien übersiedelte. Beethovens Vollendung hat seine weiteren Lehrjahre in Wien sowie seinen musikalischen Werdegang danach zum Inhalt. Daneben erfährt man viel über sein Leben und die Schwierigkeiten mit seiner Verwandtschaft.  

 

 

Kommentar / Meine Meinung

O ihr Menschen die ihr mich für Feindseelig störisch oder Misantropisch haltet oder erkläret, wie unrecht thut ihr mir, ihr wißt nicht die geheime ursache von dem, was euch so scheinet, (...). 32 Jahre war er alt, als er mit diesen Worten sein berühmtes Heiligenstädter Testament begann. Er stand vor dem Selbstmord. Aber rund fünfundzwanzig weitere Jahre sollte er noch leben.

G-G-G-Es, F-F-F-D. Nie hätte die Welt wohl dieses berühmte Motiv, aus dem sich eine ganze Sinfonie entwickelte, vernommen, hätte er 1802 wirklich seinem Leben ein Ende gesetzt. Und wer weiß, vielleicht würde Schillers „Ode an die Freude“ noch immer ihrer Vertonung harren. Doch das Schicksal, dem er in den Rachen greifen wollte, hatte ein Einsehen, und so gibt es heute das Beethoven’sche Oevre, wie wir es kennen.

Es gibt Bücher, die sehen von außen unscheinbar aus und entfalten doch eine große Wirkung. Ich werde so um die 14 gewesen sein, als ich diese Huch’sche Beethoven-Biographie zum ersten Mal in die Finger bekam und förmlich verschlungen habe. Fortan steckte ein Gutteil meines Taschengeldes in Beethoven-Schallplatten (das war lange, bevor so neumodischer Kram wie „CD“ oder gar „digitale Aufnahme“ erfunden waren). Ich habe das Buch so oft gelesen, daß ich es über weite Strecken auswendig konnte. Und jetzt, als ich das Bedürfnis hatte, mich im Buch der Musik zuzuwenden, habe ich nach vielen Jahren wieder zu Huch gegriffen. Und noch immer übt das Buch die gleiche Faszination aus wie vor den nahezu vierzig verstrichenen Jahren, seit ich es zum ersten Mal in der Hand hatte.

Im Nachwort erwähnt der Autor, daß es über die frühen Jahre, die Jugend gar, Beethovens so gut wie keine Informationen gibt. Wenn wir also im ersten Teil („Der junge Beethoven“) über seine Kindheit und sein Heranwachsen, seinen ersten Unterricht, das Leben in Bonn oder seine Familie lesen, so muß man sich stets vor Augen halten, daß der Autor aus den wenigen überlieferten Fakten einen Roman geschaffen hat mit einer Version, wie es gewesen sein könnte. Dies jedoch dermaßen lebendig und glaubwürdig, daß man als Leser vermeint, selbst mitten drinnen im Geschehen zu sein. Die Personen erwachen zum Leben, aus bloßen Namen werden Menschen aus Fleisch und Blut. Mehr als ein Mal habe ich mich gefragt, wie Beethoven es geschafft hat, an seinem Schicksal eben nicht zu zerbrechen, sondern wie aus jenen Jahren der Mann geworden ist, der der Mensch unermeßliche Kunst geschenkt hat.

Es war etwas seltsam, fast schon unheimlich, mitzuerleben, wie der junge, noch nicht zwanzigjährige Beethoven zum ersten Mal Schillers Ode „An die Freude“ kennenlernt. Und während ich mit meinem inneren Ohr den Schlußsatz seiner Neunten Sinfonie höre, wird es doch noch ein ganzes Menschenleben dauern, bis Beethoven selbst das „hören“ und niederschreiben wird. Wobei er das selbst möglicherweise nie gehört hat. Als er die Neunte schrieb, war er bereits seit einigen Jahren taub.

Das Buch besteht aus zwei Teilen: „Der junge Beethoven“ (1927) und „Beethovens Vollendung“ (1931). Ersterer behandelt die Jugendjahre bis zu seiner endgültigen Abfahrt aus Bonn 1792 Richtung Wien, um seine Ausbildung bei Joseph Haydn fortzusetzen. Es entsteht ein Bild von den ärmlichen und schwierigen Verhältnissen, unter denen Beethoven aufgewachsen ist. Aus dem Alter der Entstehungszeit der Romanteile mag man schon ersehen, daß diese nicht unbedingt in hochmoderner Sprache geschrieben sind. Andererseits hat mir gerade das besonders gefallen, denn beim Lesen hatte ich wirklich das Gefühl, mich im 18. bzw. 19. Jahrhundert zu befinden, und nicht vom 20. oder gar 21. aus einen Blick zurück zu werfen.

„Beethovens Vollendung“ hat die Zeit bis zu seinem Tod am 26. März 1827 zum Inhalt. Er vollendet schließlich bei Johann Georg Albrechtsberger seine Ausbildung und wird zum gefragtesten Klaviervirtuosen Wiens. Bereits mit 26 Jahren macht sich seine beginnende Taubheit bemerkbar, und sehr „schön“ erleben wir im Buch die Veränderungen, die das für den Meister brachte, mit.

Bezeichnungen wie Rasumowsky-Quartette, Diabelli-Variationen kennt man. Hier lernt man die dazugehörigen Personen, die Umstände der Entstehung dieser und vieler anderer Werke kennen. Wunderbar die Huch’sche Beschreibung der Beethovenschen Werke (wobei er im Anhang seine Quelle dafür angibt). Schon bevor es erwähnt wurde, wußte ich: aus dieser Szene entwickelte sich (musikalisch) der 1. Satz der Pastorale (6. Sinfonie). Dabei greift Huch immer wieder auf Originaldokumente zurück und zitiert diese. Sicher entwirft er ein etwas idealisiertes Bild Beethovens, dennoch wird mehr als deutlich, daß er ein mehr als schwieriger Mensch im Umgang war.

Viele auch heute noch bekannte Namen tauchen auf. Wolfgang Amadeus Mozart, Carl Maria von Weber, Johann Wolfgang von Goethe, um nur einige von vielen weiteren zu nennen. Wenn man in, sagen wir, zweihundert Jahren eine Biographie über einen Zeitgenossen unserer Tage schreibt: ob man dann auch so eine illustre Liste bedeutender Persönlichkeiten, die dann immer noch bekannt und gefragt sind, zusammenbekommt? Ich habe da so meine Zweifel. Und wer kennt heute noch Christian Gottlob Neefe? Seinerzeit ein hochgeachteter und berühmter Musiker und Komponist, heute „nur“ noch als Lehrer Beethovens bekannt. Einen Hinweis, wie Beethoven auf den Tod seines geliebten Lehrers 1798 reagiert hat, habe ich im Buch vermißt. Und auch Eleonore von Breuning war im zweiten Teil praktisch überhaupt nicht präsent. Wenn sie wirklich dermaßen gründlich aus seinem Leben verschwunden war (wogegen jedoch das Ende spricht), hätte ich zumindest einen kurzer Hinweis auf Briefwechsel (so es einen gab), ausgerichtete Grüße o. ä. erwartet. Mehr auszusetzen habe ich nicht.

Als ich das Buch durch hatte, hatte ich wirklich das Gefühl, ein ganzes Menschenleben durchlebt zu haben. Unendlich weit schienen die Bonner Jugendjahre an jenem 26. März 1827 entfernt zu sein, als er seine Seele aushauchte. Bei der Beerdigung am 29. März sollen rund zwanzigtausend Menschen seinem Sarg gefolgt sein. Die Grabrede hielt Franz Grillparzer, und mit seinen letzten Worten will ich hier schließen:

Aber bis zum Tode bewahrte er ein menschliches Herz allen Menschen, ein väterliches den Seinen, Gut und Blut aller Welt. So war er, so starb er, so wird er leben für alle Zeiten. Ihr aber, die Ihr unserem Geleite gefolgt bis hierher, gebiethet Eurem Schmerz! - Nicht verloren habt Ihr ihn, Ihr habt ihn gewonnen. - Ihr wißt, wenn die Pforte des Lebens hinter uns sich schließt, springen auf die Pforten zum Tempel der Unsterblichkeit. Dort steht er nun bey den Großen aller Zeiten; unantastbar für immer.

 

Kurzfassung

Eine Lebensbeschreibung Beethovens, die ihn als Mensch (zumindest im Buch), der auch seine Fehler und Schwächen hat, lebendig werden läßt.  

 

Über den Autor

Felix Huch wurde am 6. September 1880 in Braunschweig geboren. Er war u. a. mit Ricarda Huch verwandt. Er wuchs in Dresden auf und studierte Medizin. Schriftstellerisch tat er sich vor allem durch seine Musikerbiographien hervor. Während der Arbeit an einem Roman über Carl Maria von Weber starb er am 6. Juli 1952.  

 

Bibliographische Angaben meiner gelesenen Ausgabe:

459 Seiten, gebunden Verlag: Bertelsmann Lesering 1958  

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