Nichts passte zu nichts. (Seite 210)

 

Cover: Die RückkehrZum Inhalt

Im Jahre 1938 war Felix von Geldern vor den Nazis nach Amerika geflohen. Inzwischen amerikanischer Staatsbürger, kehrt er 1946 in seine alte Heimat zurück, um sich im Auftrag der Familie um das von den Nazis eingezogene Vermögen zu kümmern.
Doch die Rückkehr ins zerstörte Wien gestaltet ganz anders, als er sich das in seiner Vorstellung ausgemalt hat. Das Land mag am Boden liegen und im Krieg besiegt sein, doch anscheinend war der Jubel, der den Nazis beim Einzug entgegenschlug, echt. Denn die Schatten der überwunden geglaubten Vergangenheit sind lebendiger, als Felix lieb sein kann, und reichen bis in die eigene Familie.

 

 

 

Meine Meinung

Nichts passte zu nichts.“ (Seite 210) Besser kann man die Situation, in der sich Felix 1946, als er aus dem amerikanischen Exil ins zerstörte Wien reist, nicht zusammenfassen. Die Stadt zerstört, aber nicht unbedingt durch „feindliche“ Bomben. Die Menschen „befreit“, aber haben sie sich auch geistig „befreit“? Man sollte froh sein, Krieg und Diktatur hinter sich zu haben - aber ist man das auch wirklich?

Unwillkürlich kommen beim Lesen solche Gedanken. „Selten (oder vielleicht noch nie) habe ich ein Buch gelesen, in welchem in so lakonisch-neutraler Erzählweise dermaßen scharfe und gleichermaßen hochemotional aufgeladene Bilder entworfen und beschrieben werden wie hier.“, habe ich in meiner Rezension zum Roman „Der Engel mit der Posaune“ des selben Autors geschrieben, und ein gleiches gilt auch hier. An den Stil Lothars muß man sich vermutlich erst gewöhnen; diese Gewöhnung fand bei mir jedoch durch den „Engel“ statt, so daß ich hier keinerlei Probleme oder „Auffälligkeiten“ hatte. Für mich ist gerade durch diese Erzählweise das Bild des kriegszerstörten Wien fast deutlicher entstanden, als es ein Film hätte zeigen können. Denn Lothar beschreibt nicht nur den Zustand der Gebäude und Straßen, sondern auch den der Menschen. Außen und Innen.

Felix von Geldern reist mir seiner Großmutter Viktoria nach Europa und vor allem Österreich, um Familienangelegenheiten zu klären, um einen Restitutionsantrag zu stellen. Aber es will scheinen, daß der kühle Jurist während der Überfahrt von Emotionen überwältigt und gefangen genommen wurde, denn so naiv und weltfremd wie er ist mir seit langem keine Romanfigur mehr begegnet. Das geht so weit, daß er mir das ganze Buch hindurch überwiegend unsympathisch war - und dennoch vermochte Lothar das so zu schreiben, daß ich zu keinem Zeitpunkt ans Abbrechen gedacht habe. Es ist einer der ganz wenigen Romane, der mir trotz unsympathischer Hauptfigur gefallen hat. Mehr und mehr beschlich mich beim Lesen das Gefühl, daß Felix vom richtigen Leben keine Ahnung hat - und davon ziemlich viel.

Vielleicht ist es dem Autor gerade deshalb so gut gelungen, ein Bild jener Jahre zu entwerfen, das der Realität ziemlich nahe kommen dürfte. Zumal er hier aus eigenen Erfahrungen schöpfen konnte: Exil, amerikanische Staatsbürgerschaft, Rückkehr - all das hat Ernst Lothar selbst erlebt. Und wohl auch, daß die amerikanischen Besatzungstruppen sich von Nazis erklären ließen, wer Nazis gewesen waren...

Ein Weiteres, auch wenn es inhaltlich keinerlei Verbindungen gibt, hat mich an den „Engel mit der Posaune“ erinnert: Lothar beschreibt in seiner lakonisch-neutralen Erzählweise Szenen, in denen einen das Grauen förmlich aus den Buchseiten heraus ins Gesicht springt, ich denke dabei zum Beispiel an Gertrud und ihre Überlegungen (vgl. S. 263f). Wie schon im „Engel“ hat Lothar die Verworfenheit und Absurdität der Nazi-Ideologie schonungslos entlarvt. Und unwillkürlich steht man vor der bedrückenden Frage, wie man in so einer Situation selbst reagieren würde...

Auch dieser zweite wieder veröffentlichte Roman von Ernst Lothar konnte mich überzeugen, wenngleich er nicht die Qualität und Tiefe des Vorgängers erreicht. Durch die Schilderungen der damaligen Verhältnisse ließ er jedoch eine Zeit lebendig werden, von der ich in meiner Kindheit noch Reste vorgefunden habe: das Schloß meiner Heimatstadt war noch nicht wieder vollständig wiederaufgebaut und zeigte noch deutliche Kriegsschäden. Und der Roman hilft mir so manche eher unverständliche Entwicklung unserer Tage (besser) zu verstehen. Denn offensichtlich war die nationale Ideologie (um einmal diesen Begriff zu gebrauchen) 1945 zwar militärisch besiegt, hat in denn Köpfen (zu) vieler jedoch fortgelebt, um heute wieder zu erstarken. Wenn man hier liest, daß damals in weiten Kreisen bis in die Justiz hinein allerdings kein großes Interesse der Aufarbeitung bestand, ist das eigentlich kein Wunder. Wenn man Unkraut nur oberflächlich beseitigt, wird es bald wieder neu ausschlagen. Und so bleibt eigentlich nur noch, mit dem letzten Satz des Nachwortes von Doron Rabinovici zu schließen: „Wir lesen, wie die Rückkehr eine bittere Enttäuschung und eine unerfüllte Sehnsucht zugleich blieb.“ (S. 428)

Mein Fazit

Die Rückkehr aus dem amerikanischen Exil ins kriegszerstörte Wien entwickelt sich für Felix von Geldern vom Traum zum Albtraum. Eine eindrückliche Schilderung der Verhältnisse und Zustände im Wien des Jahres 1946.

 

Über den Autor

Ernst Lothar (eigentlich Ernst Lothar Sigismund Müller) wurde 1890 in Brünn geboren. Er studierte Germanistik und Jura an der Universität Wien, Abschluß 1914 mit Dr. jur. Er heirate (Scheidung 1933) und wurde zum Kriegsdienst eingezogen. Nach dem Krieg wurde er als Staatsanwalt tätig und veröffentlichte erste Werke unter Pseudonym. 1925 wurde er als Hofrat pensioniert. Danach arbeitete er als Theater- und Literaturkritiker, führte Regie am Burgtheater und wurde 1935 Nachfolger von Max Reinhardt am Theater in der Josefstadt. 1933 heiratete er die Schauspielerin Adrienne Gessner, mit der er 1938 vor den Nazis über Paris in die USA floh. 1946 kehrten sie nach Österreich zurück. Von 1948 bis 1962 war er als Regisseur am Burgtheater tätig, bis 1959 gehörte er der Direktion der Salzburger Festspiele an.
Er starb in Wien am 30. Oktober 1974.

Bibliographische Angaben

431 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag
Verlag: Paul Zsolnay Verlag, Wien 2018; ISBN 978-3-552-05887-3

 

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