Aber vielleicht ist es unvermeidlich, dass das Alte stirbt, damit das Junge leben und sich entfalten kann. (S. 585)

 

Cover: Die Kinder von NebraZum Inhalt

Vor rund viertausend Jahren in der Gegend des heutigen Nebra herrscht Orkon mit eiserner und grausamer Hand als Fürst über seinen und die anderen Clans der Ruotinger. Fast noch übertrumpft wird er an Rücksichtslosigkeit von seinem Sohn Arrak, der sich brutal nimmt, was ihm gefällt. Doch als er versucht, Rana zu vergewaltigen, scheint er den Bogen überspannt zu haben, denn diese erhält unverhoffte Hilfe von den im Wald verborgen lebenden Alben und entkommt ihm so. Künftig wird ihr Ziel sein, Arrak und seinen Vater zu stoppen.
Und dazu könnte Ranas Vater ihr das Mittel in die Hand geben: der Schmied hat eine Bronzescheibe erschaffen, die den Sternenhimmel zeigt. Mit ihr lassen sich Tage exakt bestimmen, was dem, der über die Scheibe verfügt, große Macht verleiht. Im Bündnis mit den Alben und weiteren Mitstreitern nimmt eine Bewegung ihren Anfang, die der Herrschaft Orkons gefährlich wird. Der wehrt sich mit allen Mitteln. Krieg scheint unvermeidbar. Und die Sternenscheibe, in die der Schmied das Wissen der Götter eingearbeitet hat, wird den Ausschlag über Sieg oder Niederlage geben.

 

 

 

Meine Meinung

Zu Beginn des informativen Nachwortes (das man nur dann zuerst lesen sollte, wenn man keine Angst vor Spoilern hat) schreibt der Autor, daß er von außen ermutigt werden mußte, diesen Roman zu schreiben, weil ihm eigentlich der Sinn nach Anderem stand. Jetzt, da ich das Buch ausgelesen habe, bin ich froh, daß er wirksam ermutigt wurde und das Buch geschrieben hat, es wäre wirklich schade, wenn es diesen Roman nicht gäbe und ich ihn demzufolge nicht hätte lesen können. Von der Zeit, in der die Geschichte angesiedelt ist, habe ich wenig Ahnung, und es war letztlich die Sternenscheibe von Nebra, die mich „überredet“ hat, das Buch zu lesen.

Über die Scheibe selbst ist inzwischen relativ viel bekannt, aber die genauen Umstände der Entstehung, welche Intention der Schöpfer hatte, wie die Menschen darauf reagiert haben - das wird wohl immer ein Geheimnis bleiben. Ausgehend von den heute bekannten Fakten hat Ulf Schiewe um die Scheibe und die Menschen jener Tage eine Geschichte ersonnen, die sich dermaßen folgerichtig entwickelt, daß ich unwillkürlich das Gefühl hatte: genau so ist es gewesen.

Mit viel Einfühlungsvermögen läßt er eine lange untergegangene Welt erstehen und bringt uns die Menschen jener Tage näher. Dabei wird mehr als ein Mal deutlich, daß manche Probleme und Entwicklungen anscheinend zeitlos und damals wie später oder gar heute die gleichen sind. Etwa der Konflikt zwischen den Alben (= Steinzeitmenschen) und den „modernen“ Bronzezeitmenschen. Wenn die Alben über ihre Geschichte erzählen: „Und dann kamen die, die der Mutter Erde Wunden schlagen und Samen in sie legen.“ (S. 426), so entspricht das ziemlich genau dem, was einige Jahrtausende später die Indianer über die eindringenden Weißen sagten. Oder wenn eine Seite später (427) die Sicht der Ruotinger geschildert wird: „Damit müssen wir zurecht kommen, denn was die Alben angeht, so gehören sie einfach nicht mehr in unsere Zeit. Auf lange Sicht sind sie dem Untergang geweiht. Das ist wohl unvermeidlich.“ - anderes Buch andere Zeit, und genau das würde ein Weißer über die Indianer sagen. Alles schon mal da gewesen.

Aus dem Nachwort ergibt sich, daß der Autor vieles von dem, was heute bekannt ist, in die Romanhandlung eingeflochten bzw. diese daran ausgerichtet hat. Das ergibt trotz - oder gerade wegen - des historischen Bezuges eine spannende, teils abenteuerliche Geschichte, in deren Verlauf auch der Sinn und die Bedeutung der Sternenscheibe erklärt werden. Nur folgerichtig, daß darum Streit entbrannte. Die archäologischen Anzeichen für Streit (lies Krieg) hat Ulf Schiewe im Nachwort erläutert, wie das in realiter abgelaufen sein könnte, liest man im Roman.

Die Figuren denken und handeln in einer in sich sinnvollen und „geschlossenen“ Welt - bis hin zu teils grausamen Hinrichtungen -, so daß es dem Autor gelingt, eine weit zurückliegende Zivilisation zum Leben zu erwecken. Besonders gefallen hat mir, daß er dabei die (vermutlichen) Maßstäbe jener Zeit und nicht, wie so oft zu finden, die der unsrigen zugrunde gelegt hat; das trifft auch auf die Unterschiede zwischen den Ruotingern und den Alben zu. Dem tut keinen Abbruch, daß die Erzählung in moderner Sprache geschrieben ist. Im Gegenteil - wer weiß schon, wie der Sprachgebrauch seinerzeit war - und wer, kennte man den, würde schon so mehr als altertümlich lesen wollen?

Die beschriebenen Grausamkeiten halten sich in (für mich) gut lesbaren Grenzen, die Balance zwischen Beschreibung und Weglassen von Details ist praktisch immer gewahrt; auch, wenn nicht immer jedes Detail erwähnt wurde, weiß man doch, was geschieht. Die Entwicklung (oder auch Nichtentwicklung) der Figuren empfand ich als glaubhaft; recht schnell sprang das berühmte Kopfkino an und, war ich erst einmal am Lesen, die Seiten flogen nur so dahin.

Am Ende ist die Geschichte auserzählt, manches Rätsel gelöst, manche Schlacht geschlagen, die Bedeutung der Sternenscheibe auch mir, der einige tausend Jahre nach ihrer Entstehung lebt, verständlich geworden, und ein dunkles Kapitel der Geschichte wurde erhellt. Wenn ich darüber nachdenke, bleibt mir eigentlich nur ein Fazit übrig: so soll ein historischer Roman sein, denn genau so, wie hier dargestellt, könnte es damals gewesen sein.

Mein Fazit

Ein Roman um die Bronzescheibe von Nebra und die Menschen, die diese geschaffen haben. Großartig erzählt - so könnte es damals in der Tat gewesen sein.

 

Über den Autor

Ulf Schiewe wurde 1947 geboren und war beruflich als Programmierer in der Softwareentwicklung und später im Marketing für Software tätig. Im Jahre 2005 erschien sein erster Roman.

Bibliographische Angaben

619 Seiten, Landkarte im Vorsatz, gebunden mit Schutzumschlag
Verlag: Bastei Lübbe AG, Köln 2020. ISBN 978-3-7857-2675-4

 

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