Ha, es würde ihm keine Sekunde Unbehagen verursachen, schon morgen seine Politik zu ändern, wenn es die Zeitung fordert. (Seite 259)

 

Cover: Septimus Harding. SpitalvorsteherZum Inhalt

Septimus Harding ist der Vorsteher eines Armenspitals, ist mit sich und der Welt zufrieden und geht davon aus, daß seine jüngste Tochter bald einen Mann, den er für seinen Freund hält, heiraten wird.
Da wird das ruhige Leben durch eine Attacke eben jenes Mannes gestört, der die Amtsbezüge Mr. Hardings für überhöht hält. Als die mächtige Zeitung „Jupiter“ den Fall aufgreift, beginnt eine Medienhetze, die das Gemüt Mr. Hardings endgültig aus dem Gleichgewicht bringt.
Mit hintergründigem Humor und einer gehörigen Portion Sarkasmus erzählt Trollope, wie Mr. Harding sich zur Wehr setzt.

 

 

 

 

Meine Meinung

Das ist eines der ganz wenigen Bücher, die ich gelesen habe, ohne vorher zu wissen, worum es geht. Einfach deswegen, weil ich schon lange etwas von Anthony Trollope lesen wollte. Um es kurz zu machen: es hat sich gelohnt, sehr gelohnt. Auch wenn das Thema - heute würde man so etwas wohl als „Shitstorm“ bezeichnen - nicht unbedingt meines ist. Aber Trollope hat einen so einmaligen Schreibstil, daß selbst so eine ernste Thematik amüsant zu lesen ist.

Dabei könnte alles so schön sein: Septimus Harding, Witwer, ist Vorsteher eines Armenasyls mit zwölf Insassen. Seine älteste Tochter ist mit dem Erzdiakon der Diözese verheiratet, seine jüngste Tochter Eleanor wird wohl bald einen Mr. Bold heiraten, die Bewohner des Heims sind zufrieden und Mr. Harding auch. So könnte es eigentlich bleiben, wäre Mr. Bold nicht ein Weltverbesserer erster Ordnung. Und so bringt er einen Ball ins Rollen, der sich zur einer Lawine entwickelt, die nicht mehr zu stoppen ist, und Mr. Hardings Leben (das seines zukünftigen Schwiegervaters) zu zerstören droht. Wie das bei Weltverbesserern so war und ist, nehmen sie auf äußere Umstände oder gar Folgen ihres Tuns wenig bis keine Rücksicht noch denken sie groß darüber nach, wenn sie eine Entwicklung in Gang setzen.

So auch hier, als Mr. Bold öffentlich die Frage stellt, ob die Bezüge von Mr. Harding eigentlich im Sinne des Stifters des Armenasyls gerechtfertigt sind oder ob statt des Vorstehers nicht die Insassen das Geld bekommen sollten. Da ist es mit der Ruhe denn vorbei. Mr. Harding ist verunsichert, Eleanor verärgert, die Armen hoffen auf Reichtum, der „Ihnen zustehen würde“, der Erzdiakon sieht alles völlig in Ordnung - wo kommen wir hin, wenn kirchliche Institutionen und vor allem Pfründe infrage gestellt werden?! - der Bischof ratlos. Als dann die Tageszeitung „Jupiter“ den Fall groß aufgreift und landesweit über das kleine Städtchen und die Berechtigung des Mr. Harding auf sein Einkommen diskutiert wird, ist das Chaos perfekt.

Mit teilweise beißender Ironie, einem gewissen Sarkasmus sowie einer gehörigen Portion Humor entwickelt Trollope die Handlung, die zwar im 19. Jahrhundert angesiedelt ist, sich in ähnlicher Form aber durchaus auch heute so ereignen könnte. Die Funktion, die im Buch die einflußreiche Zeitung „Jupiter“ hat, würden heute die sogenannten „sozialen Medien“ übernehmen, wo sich ja auch ohne viel Vorwissen (warum muß man von einer Sache eigentlich etwas verstehen, wenn man sich dazu äußern will?) munter zu allen möglichen und unmöglichen Themen verbreitet wird und Forderungen aufgestellt werden, die an Absolutheit kaum zu überbieten sind.

Und die Moral von der Geschicht? Gut gemeint ist nicht gut gemacht. Etwas, was für Aktivisten aller Zeiten Gültigkeit hat. Ich habe nämlich (meistens) den Eindruck, daß man - wie Mr. Bold - alles nur sehr einseitig durch eine getönte Brille sieht, danach handelt - und das große Ganze völlig aus dem Blick verliert. Mit entsprechenden Konsequenzen. Aber an die denken diese Aktivisten ja nicht, denn für diese müssen sie weder gerade stehen noch gar Verantwortung übernehmen.

Im Nachwort meiner Ausgabe heißt es übrigens zum Abschluß desselben (S. 381): „Die folgenlose Aufrichtigkeit des Spitalvorstehers, die für andere als reine Donquichotterie erscheint und Harding an den Rang sprachlicher und gesellschaftlicher Konventionen rückt, ist insofern ein beredeter Kommentar Trollopes auf seine eigene Zeit.“ Inwiefern dies auch ein Kommentar auf andere Zeiten, zum Beispiel unsere, ist, bliebe zu untersuchen.

Mein Fazit

Wenn ein Weltverbesserer aktiv wird und gut gemeint nicht gut gemacht ist, kann eine Entwicklung aus dem Ruder geraten. Mit Ironie, Sarkasmus und einer großen Portion warmherzigem Humor erzählt Trollope eine Geschichte, die so oder ähnlich auch heute ablaufen könnte. Vergnügliche Lesestunden mit einem durchaus ernsten Thema sind garantiert.

 

Über den Autor

Anthony Trollope wurde 1815 in London geboren. Nach einer Station als Hilfslehrer wurde er Postbeamter, der 1841 nach Irland versetzt wurde; dort heiratete er. Nach Aufenthalten in verschiedenen Ländern kehrte er mit seiner Familie 1859 nach England zurück. Bereits während seiner Posttätigkeit begann er zu schreiben und zu veröffentlichen. „Septimus Harding“ ist sein vierter Roman und der erste, der einigermaßen Erfolg hatte. Nach seinem Ausscheiden 1867 aus dem Postdienst war er als Schriftsteller tätig und veröffentlichte noch 33 Romane. Er starb am 6. Dezember 1882 und ist in London begraben.

Bibliographische Angaben

384 Seiten, Abbildungen, gebunden mit Schutzumschlag
Originaltitel: The Warden. Aus dem Englischen von Andrea Ott
Verlag: Manesse Verlag, Zürich 2002. ISBN 978-3-7175-2386-4

 

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