Millard hat sich blindwütig durchs Leben gegraben und diesen Maulwurfshügel hinterlassen, um nicht in Vergessenheit zu geraten. (Seite 84)

 

Cover: Und über uns die WolkenZum Inhalt

Die alleinerziehende Celine fällt aus allen Wolken, als ihr 15-jähriger Sohn Tim sich wegen Ladendiebstahls vor Gericht verantworten muß. Tims einzige Möglichkeit, einer Haftstrafe zu entgehen, ist eine Bewährungsfrist unter strengen Auflagen. Celine ist überglücklich, als ihr Nachbar Willard anbietet, ihren auf die schiefe Bahn geratenen Sohn zu hüten, während sie auf der Arbeit ist. Diese Aufgabe reißt den Rentner aus seinem gemütlichen Ruhestand. Die soziale Arbeit, zu der Tim verurteilt wurde, muß er unter Anleitung des Polizisten Alex Estrada verrichten. Demjenigen, welcher ihn verhaftet hatte und der ihn anscheinend überhaupt nicht ausstehen kann. Doch gerade, als die Notgemeinschaft zu einer Art Ersatzfamilie zusammenwächst, steht Tims Vater vor der Tür. Der Mann, vor dem Celine sich endlich sicher geglaubt hatte.

 

Kommentar / Meine Meinung

„Schmerzhafter Realismus“ - „Mut, neu anzufangen“. Diese Begriffe tauchen in einer Rezension von „Publishers Weekly“ auf. Genau das ist es, was die Autorin in diesem Buch auf beeindruckende Weise vereint. Doch ehe ich weiter auf das Buch eingehe, will ich noch erwähnen, daß auch hier die Übersetzung gut gelungen ist. Ich hatte zu keiner Zeit das Gefühl, eine Übersetzung zu lesen oder gar das Bedürfnis, aufs Original umzusteigen. Kompliment.

Zu Beginn lernen wir Celine und ihre drei Kinder kennen. Sie wohnen alleine in einem Wohncontainer auf einem etwas verwahrlosten Grundstück, weil neben Arbeiten und Kinderversorgen keine Zeit mehr ist, auch noch einen Garten zu pflegen oder die defekte Regenrinne zu reparieren. Tim ist jedoch nicht da; er ist von zuhause weggelaufen. Sein mißglückter Versuch eines Ladendiebstahls wird die Ereignisse der nächsten dreihundertfünfzig Seiten in Gang setzen. In diese wird auch der gegenüber wohnende Nachbar Millard Bradbury hineingezogen. Der 73-jährige Rentner lebt ein eintöniges Leben, von seiner erwachsenen Tochter Rita lustlos versorgt, die immer in Angst ist, etwas vom Erbe verlieren zu können. Seine größte Sorge ist der Maulwurf, der eines morgens seinen gepflegten Rasen verunstaltet hat. Das bedeutet Krieg. Millard wird sich bald wünschen, daß das seine einzige Sorge wäre.

Tim wird gefaßt und unter harten Bewährungsauflagen aus dem Gefängnis entlassen. Für fünfzehn Wochen steht er unter strengem Hausarrest und muß ständig unter Aufsicht eines Erwachsenen sein. Millard, der bei der Gerichtsverhandlung anwesend ist, bietet in einem Anfall von Mitleid an, tagsüber auf Tim aufzupassen. So kommen denn die Ereignisse in Gang, an deren Ende kaum noch etwas so sein wird wie zu Beginn.

Karen Harter legt schonungslos den Finger in die offenen Wunden der zerbrochenen Familien unserer Zeit. Ob das die von Celine ist, deren krimineller Ex-Ehemann keinen Unterhalt zahlt, so daß sie sehen muß, wie sie mit den Kindern über die Runden kommt, ob das Millard ist, dessen Frau vor einem Jahr starb und dessen Tochter Rita vor allem auf das Erbe wartet, oder ob das Alex mit seinen tiefen Wunden ist, die im Laufe des Buches zutage treten. Jeder hat seinen Packen zu tragen und muß sehen, wie er damit zurecht kommt.

In wirklich bisweilen schmerzhaftem Realismus treffen die Lebensläufe der Protagonisten aufeinander; zu Beginn weiß keiner (auch wir Leser nicht), was die einzelnen so verletzt und verändert hat. Erst langsam kommen die Ereignisse zutage, werden Denk- und Handlungsweisen verständlich. Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, daß es sich hier um einen christlich geprägten Roman handelt, also der Glaube an Gott bei der einen oder anderen Person eine Rolle spielt. „Not lehrt Beten“, heißt es im Sprichwort. So auch hier im Buch. Was mir etwas gefehlt hat, war eine Hinführung dazu. Mehr im Nebensatz erfahren wir, daß Celine aus einem religiös geprägten Elternhaus kommt, selbst aber irgendwann die Verbindung zu Gott verloren hat. Jetzt, in der Not, fällt ihr wieder ein zu beten. Da hätte ich mir ein paar mehr Sätze im Vorfeld gewünscht, die diese Entwicklung vorbereiten. Allerdings, um das klar auszudrücken, gestört hat es mich nicht. Im Gegenteil, wenn ich einen Roman aus diesem Verlag lese, weiß ich, daß Religion ein Thema ist. Drum lese ich das Buch ja.

Dabei hat Karen Harter eine Art zu schreiben, die aus etwas ganz banalem, alltäglichen, etwas Besonderes macht. Etwa die Stelle, als Millard erstmals auf Maulwurfjagd geht. Ich habe ihn förmlich vor mir gesehen, wie er sich an den vermeintlichen Feind anpirschte. Oder wenn Millard darüber sinniert, wie es zu der Entfremdung zwischen ihm und seiner Tochter gekommen ist. Eine nur zu „normale“ Entwicklung in unserer Zeit.

Letztlich sind es sind die vielen kleinen Dinge, die das Leben ausmachen und sich zu dem „Lebensfluß“ zusammenfügen. So entwickeln sich auch hier die Dinge ganz natürlich und zwangsläufig, vor allem, wenn erst mal die Fassaden zu bröckeln beginnen und man den einen oder anderen Blick dahinter erhaschen kann.

Richtig dramatisch wird es, als Don, Celines Ex-Ehemann, auftaucht und die Handlung im Zusammentreffen aller kulminiert, fast möchte ich schreiben explodiert. Danach liegt dann so manches (im wörtlichen wie übertragenen) Sinne in Trümmern und es bietet sich die Chance für einen Neuanfang.

Als ich das Buch ausgelesen hatte,habe ich es innerlich ruhig und zufrieden geschlossen. In dem Bewußtsein, daß Karen Harter auch in diesem ihrem zweiten und letzten Buch Figuren geschaffen hat, an die ich mich noch lange erinnern und an denen ich mir vielleicht selbst in manchen Situationen ein Beispiel nehmen werde. Damit nicht auf meinem Grabstein der Spruch stehen muß, der Millard einmal für den seinen (s. o.) eingefallen ist.

 

Kurzfassung

Eine beeindruckende Geschichte, die Mut machen und Hoffnung geben kann.

 

Bibliographische Angaben meines gelesenen Exemplares

352 Seiten, gebunden. Originaltitel: Autums Blue. Aus dem Amerikanischen von Beate Zobel. Verlag: Gerth Medien GmbH, Aßlar 2009

Ursprünglich geschrieben am 13. Oktober 2009

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