Schon seit etlichen Jahren ist es (eher schlechter denn guter) Brauch geworden, daß die Weihnachtsausgabe einer Modellbahnzeitschrift (und nicht nur dieser) schon im Januar erscheint. Also nicht im Januar des entsprechenden Weihnachtsjahres, sondern die Januarausgabe für beispielsweise 2024 erscheint im Dezember 2023 und enthält die Weihnachtsthemen. Was natürlich besonders sinnvoll ist, wenn eine Weihnachtsanlage vorstellt wird - andererseits hat man dann ein Jahr Zeit zum Nachbauen, denn zu diesem Weihnachten wird es nicht mehr reichen. Aber darum geht es eigentlich gar nicht.

Es war also die Januarausgabe 2023 des N-Bahn Magazins, die rechtzeitig zu Weihnachten 2022 erschien, in der ich einen Bauvorschlag für eine kleine Weihnachtsanlage, die auch als Adventskranz fungieren kann, fand. Nichts Besonderes eigentlich. Doch in meinen Gedanken begannen es zu rumoren, in den Tiefen des Gedächtsnisses zu suchen, immer weiter Jahr um Jahr zurück - neunundfünfzig Jahre, um genau zu sein. Es war Weihnachten anno domini 1963. Unter dem Weihnachtsbaum fand sich eine TRIX EXPRESS Startpackung für eine H0 Modelleisenbahn. Eine kleine Dampflok der Baureihe 80, drei Güterwagen, ein Gleisoval, ein Trafo, von denen nur die Lok und der Trafo die Zeiten bis heute überdauert haben.

Der erste Zug.

Ich sehe es vor meinem geistigen Auge, als ob es erst gestern gewesen wäre, wie der kleine Güterzug unermüdlich seine Runden drehte, das Oval bald um eine Weiche mit Nebengleis erweitert wurde und damit eine Entwicklung in Gang gesetzt wurde, die bis heute anhält.

Der erste Zug.

Unwillkürlich kommt mir eine Parallele in den Sinn. So, wie das Leben klein beginnt und dann mehr oder weniger langsam oder auch schnell wächst, so war es mit der Eisenbahn. So, wie es im Leben verschiedene Phasen gibt, so durchläuft das Wachstum einer Modellbahn (bzw. eines Modellbahners) verschiedene Phasen. Entwickelt sich, geht Irrwege, geht Umwege, versucht auf krummen Wegen gerade zu fahren (was natürlich nicht funktionieren kann). Wird größer, länger, schwerer, mit immer mehr Ballast beladen, der an Stationen dann teilweise „abgeworfen“ werden kann.

Irgendwann reicht ein Zug nicht mehr, es kommt ein zweiter hinzu, mit vereinter Kraft geht es voran. Im Leben nennt man so etwas dann wohl Familiengründung.

Der zweite Zug.

Mit vereinten Kräften geht es nun voran. Höhen und Tiefen, helle Täler und dunkle Tunnel werden durchfahren. Manches Schöne, manches Schmerzliche zieht an einem vorbei. Unaufhörlich schreitet die Zeit voran, und so wie eine Lok im Laufe ihres Lebens altert, so altert man selbst auch. Die „volle Fahrt“ ist nicht mehr so „voll“, es machen sich erste Verschleißerscheinungen bemerkbar. Was man vor ein paar Jahren noch „mit links“ erledigt hat, entpuppt sich, ehe man sichs versieht, als anstrengend. Man sieht aus dem Fenster und stellt mehr oder weniger überrascht fest, wie viele Erinnerungen man im Laufe der Jahre angehäuft hat. „Weißt du noch…“, „Ja früher…“. Seltsam. Es schleichen sich Redewendungen ein, die man früher von den Eltern gehört hatte und nie so recht nachvollziehen konnte. Und nun benutzt man die selbst? Ist man schon so alt?

Der zweite Zug.

Mit enormem Tempo raste er dahin - durch die Landschaft, durch das Leben. Irgendwann kommt von ferne ein Bahnhof in Sicht und man weiß, dieser Zug erreicht sein Ziel, für die Weiterfahrt ist umsteigen angesagt.

Der dritte Zug.

„Der dritte Zug.“ Genau das war unwillkürlich mein Gedanke, als ich jetzt wieder den zu Beginn erwähnten Bildbericht über eine kleine Weihnachtsanlage mit einem Adventsmarkt im Schnee sah. Schon länger war ich am Überlegen, aus Platzgründen von H0 auf N umzusteigen - und das war die Idee. Eine kleine Anlage zum Ausprobieren, ob ich mit dem kleinen Maßstab zurecht komme und im Nebeneffekt eine „Weihnachtsdeko“ erschaffen. Je mehr ich mich damit beschäftigte, je mehr fielen mir die Parallelen zum Weihnachten vor nunmehr sechzig Jahren auf. Es ging zurück zu den Anfängen. Was klein begonnen hatte, wuchs, größer wurde, kehrte zurück zum Anfang, wurde wieder klein. Der Kreis schließt sich.

Der dritte Zug.

Das just zu dem Zeitpunkt, da mein berufliches Leben dem Ende entgegen geht und ein neuer Lebensabschnitt beginnt. Einer, den man gemeinhin mit dem letzten bezeichnet.

Der letzte Zug.

Irgendwann findet jede Reise ihr Ende. Sei es die eines Zuges, sei es die des Lebens. Klein begonnen, sich im Leben mehr oder weniger erfolgreich ausgebreitet, nähert sich schließlich der Zeitpunkt, da es wieder Richtung „kleiner“ geht. Mehr und mehr schweifen die Gedanken - nun eher Richtung Vergangenheit denn Richtung Zukunft. Es kommen Fixpunkte ins Gedächtmis, die sehr oft mit Weihnachtsfesten verbunden sind. Wie war das damals noch, als auf dem Baum richtige, echte Kerzen brannten - einen Wassereimer stets in greifbarer Nähe? War es nicht gestern (oder höchstens erst vorgestern), da man des Abends gespannt aus dem Fenster sah, ob man denn das Christkind auf dem Schlitten durch die Lüfte fliegen erblicken würde? Und dann klopfte es unheimlich im verschlossenen Wohnzimmer, obwohl alle Familienmitglieder in der Küche versammelt waren. Wenn man sich diese Erinnerungen ins Gedächtnis zurück ruft, ist es vermutlich an der Zeit zuzugeben: man ist alt geworden. (Ob auch weise, sei hier dahingestellt.)

Der letzte Zug ist also bestiegen.

Wenn dieser einst zum Stehen kommt, ist auch die Lebensreise zu Ende. Aber bis dahin dauert es hoffentlich noch eine Weile. Zeit also, die melancholischen Gedanken ins Hinterstübchen zu verbannen und sich erfreulicheren Dingen zuzuwenden. Beispielsweise der Weihnachtsanlage aus der Januar-Ausgabe der Zeitschrift, die sich jetzt, Anfang Dezember, noch beginnen und durchaus bis Weihnachten fertigstellen läßt. Auf daß auch an diesem Weihnachten ein Zug fahren kann (wenn das schon bei der DB nicht so recht klappen will).

Denn auch der letzte Zug hat, bevor er seinen Zielbahnhof erreicht, seine schönen Stationen.

PS. Am 2. Dezember war, seinerzeit initiiert vom „Mr. Eisenbahn Romantik“ Hagen von Ortloff der „Tag der Modellbahn“. Was einst groß begonnen, scheint - sieht man sich die Webseite zum Tag an - schon wieder ins Stocken geraten. Die "kleine Bahn" eifert auch darin der "großen" nach...

 

Ursprünglich geschrieben am 17. November 2023

 

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