„Was für ein denkwürdiger Abend!“, raunte die Gräfin Wilczek. Sie hatte angeboten, Henriette und Sophie in ihrer Kutsche nach Hause zu bringen. „Den werden wir alle so schnell nicht vergessen.“ (Seite 544)

 

Cover: Das Kaffeehaus. Bewegte JahreZum Inhalt

Die Handlung setzt im Wien des Jahres 1879 ein. Sophie von Werdenfels hat zu ihrem Stiefvater kein gutes Verhältnis, weswegen sie oft im Kaffeehaus ihres Onkels aushilft. Dort macht sie eines Tages die Bekanntschaft von Richard von Löwenstein, einem k. u. k. Offizier, der zum Stab von Kronprinz Rudolf gehört.
Sophies Freundin Mary schwärmt für den Kronprinzen Rudolf und nutzt jede Gelegenheit, um die Bekanntschaft des Kronprinzen zu machen. Als ihr dies eines Tages gelingt, ahnt niemand, welch katastrophale Folgen dies zeitigen wird.

 

 

 

 

Meine Meinung

Kronprinz Rudolf, Selbstmord in Mayerling. Das sind Schlagworte, die mir zwar ein Begriff waren, mit denen ich allerdings bisher nicht viel mehr verbunden habe, als daß in jenem Jagdschloß der Kronprinz Rudolf mit seiner Geliebten Suizid begangen hat. Die Vorgeschichte spielte zwar in einem anderen Roman schon eine Rolle, war dort aber nur handlunganstoßendes Nebenthema. Hier jedoch sind diese Begebnisse das Hauptthema.

Womit ich bei meinem - einzigen wirklichen - Kritikpunkt bin. Erwartet hatte ich auf Grund der Covergestaltung sowie des Verlagswerbetextes eine Geschichte, die im Wien jener Tage vor allem eben im namengebenden Kaffeehaus angesiedelt ist zu der Zeit, in der eben der Kronprinz Selbstmord begeht. Dabei ist es genau andersherum: die Entwicklungen hin bis zur Tragödie von Mayerling sind das Hauptthema, während das Kaffeehaus und seine Menschen eher eine Nebensache sind. Diese durch den Verlag geweckten nicht ganz zutreffenden Erwartungen waren mit ein Grund, weshalb ich eine zeitlang brauchte, bis ich mit dem Buch warm geworden bin.

Sobald ich mich jedoch mit dieser veränderten Perspektive angefreundet hatte, las sich das Buch ausnehmend gut und entwickelte einen Sog, der es mir oft schwer machte, es aus der Hand zu legen. Vor allem auch, da mir bewußt war, wie sehr sich die Autorin bemüht hat, die damaligen Ereignisse zu rekonstruieren; im Nachwort geht die Autorin ausführlich auf Fakt und Fiktion ein. In ausnehmend gekonnter Form wurden in die historische Handlung fiktive Figuren eingefügt, so daß es schwer fällt zu glauben, daß diese eben genau das sind: fiktiv.

Das titelgebende Kaffeehaus bildet dabei quasi den Rahmen, der alles zusammen hält. Für Sophie, die unter den Allüren und dem strengen Regiment ihres Stiefvaters zu leiden hat (vor allem in den Zeiten, da er zuhause ist), ist das Kaffeehaus ihres Onkels ein Ort der Ruhe und des Rückzugs, wobei Ruhe hier nicht wörtlich zu nehmen ist. Gerne hilft sie mit aus und hätte nichts dagegen, ganz im Kaffeehaus zu sein und zu arbeiten, wenn dem nicht der Standesdünkel ihres Stiefvaters entgegen stehen würde. Hier lernt sie auch Richard von Löwenstein kennen, woraus sich im Weiteren eine schwierige Beziehung entwickeln wird. Und hier trifft sie sich auch immer wieder mit ihrer Freundin Mary Vetsera, die so sehr für den Kronprinzen schwärmt, daß sie auch einen Skandal riskiert.

Auf rund siebenhundert Seiten zeichnet die Autorin ein Bild des Wien der 80er Jahre des 19. Jahrhunderts, daß man meint, selbst zu der Zeit dort gewesen zu sein. Vor allem wirft sie einen deutlichen Blick hinter die glänzenden Kulissen der Gesellschaft - und da tun sich dann Abgründe auf, die letztlich nur zu einer Katastrophe führen können. Ich glaube, ich werde nie mehr einen Film ansehen können, in dem Kaiser Franz Joseph als „guter alter Mann“ charakterisiert wird, wie das in manchen älteren Filmen der Fall ist, denn wenn er eines wohl nicht war, dann ein „guter alter Mann“. Viel erschreckender ist jedoch die im Buch geäußerte Vermutung, weshalb Kronprinz Rudolf unbedingt seine Geliebte mit in den Tod nehmen wollte. Erschreckend vor allem auch deshalb, weil mir diese Interpretation überaus überzeugend erscheint.

Nicht bewußt war mir, wie stark der latent bis offene Antisemitismus in der damaligen Zeit war; die Bestrebungen „Heim ins Reich“ waren neu für mich, jedenfalls zu der Zeit, in welcher die Handlung spielt. Eine Recherche mittels einer bekannten Suchmaschine brachte jedoch ans Tageslicht, daß die Autorin sich sehr gut an die überlieferten Fakten gehalten und diese in den Roman eingearbeitet hat. Dies fand ich um so erschreckender, als daß dieses Gespenst sich dieser Tage wieder erhebt und seine gräßliche Fratze zeigt. Man hat doch gesehen, wohin das führt - lernt der Mensch denn wirklich nichts aus der Geschichte?

Eingebettet in die historischen Ereignisse gibt es noch die Entwicklung einer möglichen Beziehung zwischen Sophie und Richard. Aber sollte aus diesen beiden in den Folgebänden etwas werden, müßte vor allem Richard noch viel dazulernen und sich entwickeln. Das Potential dazu ist vorhanden, ob die Autorin ihn es nutzen läßt, bleibt abzuwarten. Jedenfalls fand ich diesen Handlungsstrang nachvollziehbar entwickelt, die Figuren in sich glaubwürdig. Was nicht bedeutet, daß mir alle sympathisch wären. Mir fallen da einige ein, die ich auf einer Bösewichtsskala ziemlich weit oben einordnen würde.

Insgesamt hat mir, trotz der anfänglichen Irritation, das Buch ausnehmend gut gefallen, und eine schon seit Wochen andauernde Leseflaute beendet. Der Roman hat Lust auf mehr gemacht, was nichts anderes bedeutet, daß ich den Folgeband recht bald und den dritten gleich nach Erscheinen lesen werde. Denn die Autorin hat einen historischen Roman vorgelegt, wie ich ihn mir vorstelle: eine fesselnde Geschichte, die in die historischen Fakten so eingewoben ist, daß man die Trennlinie zwischen Fakt und Fiktion kaum erkennen kann. Neben einer spannenden Romanhandlung erhält man also zusätzlich noch lebendigen Geschichtsunterricht. Besser geht es eigentlich nicht.

Mein Fazit

Ein historischer Roman, wie er sein sollte: glaubwürdige fiktive Figuren eingewoben in ein überliefertes Geschehen. Beim Lesen meint man, mitten drinnen dabei zu sein, und gelangt mehr und mehr zu der Überzeugung: genau so ist es gewesen. Damals in Mayerling und Wien. Ganz große Klasse.

 

Über die Autorin

Marie Lacrosse ist ein Pseudonym von Marita Spang; sie hat Psychologie studiert und war lange Jahre als freie Unternehmensberaterin tätig. 2014 veröffentlichte sie ihren ersten Roman, seit Anfang 2020 ist sie überwiegend als freie Autorin tätig.

Bibliographische Angaben

715 Seiten, 3 Karten, Klappenbroschur
Verlag: Wilhelm Goldmann Verlag, München 2020. ISBN 978-3-442-20597-4

 

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