Für einen kurzen Moment konnte sie sich vorstellen, sie hätte dieses Land schon erreicht. Daß das Paradies hier in dieser ungezähmten Wildnis war.* (Seite 125)
Zum Inhalt
Im Sommer 1830 machen sich der todkranke Thad Wilkins und seine Tochter Susanna auf den Weg in den Westen. Sie haben alle Brücken hinter sich abgebrochen, denn Thad hat nur noch einen Wunsch, bevor er stirbt: er will auf den Spuren von Lewis & Clark reisen, um Berge zu sehen.
Unterwegs treffen sie auf den Halbindianer Beaver Tail und seine Gefährten Caleb, French und Joel, der seinen bei den Shoshonen verschollenen Bruder suchen will. Man einigt sich und reist fortan zusammen, da die Richtung für alle die gleiche ist.
Da man viel gemeinsame Zeit verbringt, lernt man sich kennen und schätzen; zwischen Beaver Tail und Susanna scheint sich etwas anzubahnen. Doch er hat schlechte Erfahrungen mit Frauen und sie sorgt sich darum, ihrem Vater den letzten Willen zu erfüllen. Keine guten Voraussetzungen - weder für Beaver Tail und Susanna noch Thad Williams, dessen Kräfte zusehends schwinden. Je mehr Zeit vergeht, um so näher kommt der Tag der Entscheidung für alle.
Meine Meinung
Als ich das Buch begann, war mir nicht bewußt, daß die Call of the Rockies-Reihe eine durchgehende Geschichte erzählt, zumindest in den ersten fünf Bänden. In diesem ersten Band werden die Hauptfiguren der Bücher vorgestellt, wobei es hier um die Geschichte von Beaver Tail und Susanna Wilkins geht. Ersterer ist mit drei Gefährten auf der Suche nach dem verschollenen Bruder eines der Mitreisenden, Letztere ist mit ihrem Vater unterwegs in die Rocky Mountains. Denn dessen einziger Wunsch vor seinem Tod ist, die Berge zu sehen und zu erleben. Sie haben alles hinter sich gelassen und sind schon geraume Zeit den Missouri hinauf unterwegs. Mehrere Führer, die sie angeheuert hatten, haben sich zwischenzeitlich abgesetzt.
Als sie auf Beaver Tail und seine Gruppe stoßen, sind sie gerade wieder einmal auf sich alleine gestellt und stehen vor der schier unlösbaren Aufgabe, ihr Boot an fünf Wasserfällen vorbei hinauf zum Beginn der Fälle zu tragen, um von dort wieder den Wasserweg benutzen zu können. Dem Trapper ist klar, daß die beiden das nicht schaffen können und bietet Hilfe an, obwohl er möglichst wenig Kontakte zu anderen Menschen haben will. Und so nehmen die Ereignisse des Buches denn ihren Lauf.
Daß es zwischen Beaver Tail und Susanna „funken“ wird, kann man schon dem Buchrückentext entnehmen, wenn man es nicht ohnehin vermutet hat. Wie in etlichen Büchern, die ich in letzter Zeit gelesen habe, wollen die Figuren auch hier eigentlich keine Beziehung eingehen und wehren sich mental dagegen. Hier in dieser Konstellation konnte ich das allerdings gut nachfühlen. Susannas einzige Sorge ist, ihrem Vater seinen letzten Wunsch zu erfüllen. Geflissentlich blendet sie aus, daß es ihm von Tag zu Tag schlechter geht und es darob immer unwahrscheinlicher wird, daß sie ihr Ziel noch erreichen. Sie will für nichts anderes ihre körperlichen wie mentalen Kräfte aufwenden, muß aber erkennen, daß sie an ihre Grenzen stößt. Beaver Tail hat vor nicht allzu langer Zeit schlechte Erfahrungen mit Frauen gemacht und mit dem Thema daher abgeschlossen - denkt er jedenfalls.
Jetzt stehe ich vor dem Problem, daß mir die Geschichte an sich sehr gut gefallen hat und mindestens das bot, was ich von ihr erwartet habe. Nicht so ganz zufrieden bin ich mit der Ausführung. Auf den zweihundertfünfunddreißig Seiten Text hat die Autorin eine gut ausgedachte, für mich in sich schlüssige Geschichte weitgehend handlungsbezogen erzählt. Um die hundert Seiten mehr, und ich wäre vermutlich restlos zufrieden gewesen. Dann wäre nämlich genügend Platz für Landschaftsbeschreibungen und eine Vertiefung der Figuren gewesen. Genau das ist, so mein Eindruck, beim Schreiben etwas auf der Strecke geblieben. Auch wurden manche Nebenstränge nicht zu Ende geführt; dabei handelt es sich meist um Nebensächlichkeiten, zumindest in einem Fall hoffe ich jedoch, daß das in einem der weiteren Bände noch thematisiert wird.
Als Folge davon habe ich mich etwas schwer getan, mir die Landschaft, durch die die Gruppe reist, so recht vorstellen zu können. Da waren dann Bilder, die ich aus Western oder anderen gelesenen Büchern im Kopf hatte, recht hilfreich. Auch blieben die drei Gefährten von Beaver Tail ziemlich farblos - was allerdings Absicht der Autorin sein kann, da diese Hauptfiguren der nächsten Bücher der Reihe sein werden. Als Leser hätte ich mir allerdings schon hier ein paar Informationen mehr gewünscht.
Wie die Autorin auf ihrer Webseite schreibt, ist es ihr ein Anliegen, ihre Vorliebe für christlich geprägte Erzählungen mit ihrer Wertschätzung des einfachen Landlebens in ihren historischen Romanen zu verbinden (vgl. Autorenwebseite „About“). Susanna und ihr Vater sind christlich geprägt, was in der ersten Hälfte des Buches jedoch so gut wie gar keine Rolle spielt; erst in der zweiten Hälfte wird das thematisiert. Da hätte ich mir gewünscht, daß das schon früher eine eingeführt oder zumindest entsprechend erwähnt worden wäre; es hätte die Diskussionen darüber im Fortgang der Erzählung besser begründet. Ob das allerdings der Realität der Reisenden entsprochen hätte, ist eine ganz andere Frage. Denn „letzte Dinge“ gewinnen um so mehr an Bedeutung, je näher das Ende des Lebens kommt. Insofern paßt es eigentlich doch wieder, da die Thematik so richtig erst in Erscheinung tritt, als auch dem letzten der Mitreisenden klar wird, daß Thad nicht überleben wird (da das sehr früh im Buch deutlich ist und auch auf der Buchrückenseite steht, ist dies kein Spoiler).
Daraus ergibt sich auch, daß das ganze Buch von einer gewissen Melancholie durchzogen ist, die auch an glücklichen Stellen nicht ganz weichen will. Denn man weiß von Anfang an: egal, welche Abenteuer auf die Reisenden zukommen oder nicht - am Ende wird einer von ihnen nicht mehr am Leben sein. Und so bekommt ein einfacher Satz wie „Laß uns zu den Bergen reisen, Susanna.“* einen fast schon tragischen Beigeschmack. Denn es ist abzusehen, daß sich dort das Schicksal erfüllen wird.
Insgesamt gesehen hätte ich mir das Buch mit rund hundert Seiten mehr ausführlicher erzählt gewünscht; die Geschichte hat allerdings auch so einen Lesesog erzeugt und mich dermaßen in den Bann gezogen, daß ich das Buch kaum aus der Hand legen konnte, bevor ich nicht die letzte Zeile gelesen hatte und mich freue, die Folgebände fürs baldige Lesen zum Teil schon hier zu haben. Etwas muß die Autorin also sehr richtig gemacht haben.
Mein Fazit
Sehr handlungsbezogen mit relativ wenig „Ausschmückung“ erzählt die Autorin von einer Reise 1830 auf den Spuren von Lewis und Clark, die für einen der Teilnehmer zur letzten Reise wird. Trotz der wenigen „Hintergrundschilderungen“ zu Landschaft und Figuren für mich der Start in eine Buchreihe, die ich auf jeden Fall weiter lesen will.
Über die Autorin...
... habe ich nicht viel gefunden. Sie wuchs auf einer Farm in South Carolina auf. Mit ihrem Mann und fünf Kindern lebt sie noch immer dort. Sie hat bisher über dreißig Bücher veröffentlicht, meist in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts im amerikanischen Westen angesiedelt, von denen bisher keines ins Deutsche übersetzt wurde.
Originaltexte und bibliographische Angaben
* = For just a moment, she could imagine she’d already reached that land. That paradise was here in the vast untamed wilderness. (S. 125)
** = „Let’s go to the mountains, Susanna.“ (S. 172)
237 Seiten, kartoniert
Reihe: Call of the Rockies 1
Verlag: Misty M. Beller Books 2019; ISBN-13: 978-0-9997012-4-9