Nun begann er zu begreifen, daß die Dinge sich doch verändern, ganz egal wie sehr wir uns auch anders wünschen.* (Seite 213)

Cover: World of SilenceZum Inhalt

Praktisch von Geburt an ist Speaks Not taub, er kann sich nur durch Zeichensprache verständigen. Nach einem Jagdunfall wird er zum Außenseiter, der einen neuen Namen bekommt, welcher ihn zutreffend beschreibt: Hunts Alone - Der alleine jagd. Hier wird seine Geschichte von seiner Geburt bis zu seinem Tod und etwas darüber hinaus erzählt.
Es ist auch die Geschichte seiner Familie, seiner Kinder und Enkel - bis zu deren tragischen und grausamen Tod. Zusammen mit seiner wenige Monate alten Enkelin South Wind lebt er künftig alleine am Medicine Rock. Es ist ein hartes und einsames Leben, das sie dort führen. Und doch bleiben sie Teil ihres Volkes, bis sich eines Tages ihr Schicksal erfüllen wird.

 

Dieses Buch stellt die Vorgeschichte zu „Song of the Rock“, dem Band 15 der Spanish-Bit-Serie, dar. Es beginnt ungefähr siebzig Jahre vorher und endet etwa in der Mitte von „Song of the Rock“. Spoiler für letztgenanntes Buch sind daher unvermeidlich.

 

Meine Meinung

Don Coldsmith konnte es also doch - einen epischen Roman schreiben, in dem es sowohl Landschaftsbeschreibungen als auch eine ausführliche Einsicht in die Gedankenwelt und die Psyche seiner Figuren gibt. Ich habe schon lange vermutet, daß die Handlungsbezogenheit der Spanish-Bit-Bücher eine entsprechende Vorgabe des Verlages war. Nach der Lektüre dieses Buches, das zwar zur Reihe gehört aber außerhalb der Bandzählung ist, bin ich mir dessen ziemlich sicher geworden. Eigentlich schade, denn im Grunde hätte jeder einzelne Band der Serie eine solche epische Breite verdient wie hier die „World of Silence“.

Es wird die Vorgeschichte zum Band 15 „Song of the Rock“ erzählt; wer also jenes Buch schon gelesen hat, weiß wie dieses hier ausgehen muß. Die Handlung setzt ungefähr siebzig Jahre vor „Song of the Rock“ mit der Geburt von Hunts Alone, dem Großvater von South Wind, die im „Song“ eine der beiden Hauptfiguren sein wird, ein. Dieser erhält seinen Namen, weil er seine Lebensweise beschreibt: er geht alleine auf die Jagd. Im Babyalter war er als Folge einer Erkrankung völlig taub geworden. Da er nie ein Hörvermögen hatte, fehlte es ihm nicht sonderlich. Von einem alten Indianer wurde er im Spurenlesen geschult, so daß er es darin zur Meisterschaft brachte. Dies sollte ihm und seiner Enkelin einst das Leben retten.

Denn viele Jahre später, seine Kinder sind erwachsen und er hat bereits etliche Enkel, geschieht die Tragödie, von der auf der Buchrückseite zu lesen ist und die den Grundstein für den „Song...“ legt: durch einen feindlichen Angriff wird seine ganze Familie ausgelöscht. Übrig bleiben durch einen glücklichen (?) Zufall nur er und seine Enkelin South Wind - ein etwa einjähriges Baby. Verbittert und voller Haß auf alle Menschen flieht er mit ihr zu einem verwunschenen und gefürchteten Ort: Medicine Rock. Ein Ort voller Magie und Geheimnisse.

Medicine Rock - der Ort, an dem vor Jahrzehnten der legendäre Eagle den Winter verbrachte - und überlebte.** Der Ort, an dem sich das Schicksal des Volkes entschied, als die Blue Paints das Land überfielen und jeden, der ihnen in die Quere kam, umbrachten, bevor sie schließlich am Medicine Rock ihr tödliches Schicksal fanden und vertrieben wurden.*** Legendenumwoben ist dieser Ort und gefürchtet, weshalb er von allen gemieden wird. Und genau hier läßt Hunts Alone sich mit South Wind nieder, um fern jeglicher menschlichen Siedlung ein einsames Leben zu führen.

Es passiert (naturgemäß) nicht viel, und dennoch erzeugt Coldsmith eine Spannung und einen Lesesog, daß ich das Buch kaum aus der Hand legen konnte. Während South Wind zu einer starken jungen Frau heranwächst, wird Hunts Alone darüber alt und gebrechlich. Hat er einst das Baby versorgt, wird im Alter er von South Wind versorgt. Selten habe ich diesen unabänderlichen Lauf der Dinge so gut beschrieben gefunden wie hier.

Man merkt übrigens immer wieder, daß Coldsmith im Hauptberuf Arzt war. In Beschreibungen des Sterbens etwa, das recht genau das Verlöschen eines Menschen wieder gibt; wenn es um die Pubertät und die damit einhergehenden biologischen Veränderungen von South Wind geht oder auch dem langsamen und unaufhörlichen Abbau der geistigen wie körperlichen Kräfte von Hunts Alone. Dabei schreibt er nicht wie ein Arzt, sondern wie ein Schriftsteller mit großem Einfühlungsvermögen teilweise hochemotionale Szenen.

Immer wieder gibt es Erinnerungen an frühere Zeiten, an Legenden und längst Verblichene Helden. Coldsmith hat eine eigene Welt der People mit Sagen, Mythen und eben ihrer Geschichte erschaffen, die in sich konsistent ist und sich langsam, aber sicher zu einem eigenen Kosmos entwickelt. Sehr geschickt und gekonnt verbindet er dabei indianische Mythen mit der Realität, und sei es nur die psychische.

Das Rätsel des Bösen (im Buch hier wie im "Song of the Rock") wird hier übrigens gelöst. Was dort („Song...“, auch ob der vorgegebenen Kürze der Erzählung) wie übernatürlich erschien und die Frage aufwarf, ob und wenn ja wie die Welt des Übernatürlichen von der Natürlichen getrennt bzw. verschieden ist, ist hier bei Licht (sic!) besehen keine eigene Welt, sondern ganz rational erklärbar. Auch hier spielen in der Erzählung wieder die Kenntnisse des Autors als Arzt eine Rolle.

Gegen Ende überschneidet sich die Handlung mit der des „Songs...“, hier allerdings aus Sicht von South Wind beschrieben. So bleibt es am am Ende nicht aus, daß man, auf der letzten Seite angekommen, das Buch mit dem Gefühl schließt, es sei nicht ganz auserzählt. Nun, genau so ist es im Grunde auch, denn wie zu Beginn geschrieben, ist dies hier die Vorgeschichte zum fünfzehnten Band der Spanish-Bit-Serie. Wie es nach dem letzten Satz dieses Romans weiter geht, ist dort zu lesen.

Und im Übrigen ist dies hier eigentlich die Geschichte von Hunts Alone, der in seiner Jugend Speaks Not genannt wurde - von seinem Anfang bis zu seinem Ende. „Er schien ruhig und zufrieden, und es war ein leichtes Lächeln auf seinen Lippen. Seine lange und beschwerliche Reise war zu Ende.“**** Möge er nach einem harten Leben in Frieden ruhen.

 

Mein Fazit

Erneut erweist sich Coldsmith als Meister seines Faches. In fast schon epischer Breite spannt er einen Bogen von Geburt bis Tod und darüber hinaus von Hunts Alone, dem einst so fröhlichen und dann verbitterten Einzelgänger, der seine Enkelin alleine groß ziehen mußte. Coldsmith erweckt eine lange vergangene Welt zum Leben, als ob es erst gestern gewesen wäre. Ein großartiges Leseerlebnis.

 

 

Über den Autor

Don Coldsmith, geboren 1926, arbeitete bis 1988 in Kansas als Arzt. Mit seiner Frau Edna betrieb er zudem eine kleine Farm und Pferdezucht. Er schrieb insgesamt über 40 Bücher und starb am 25. Juni 2009.

Originaltext, Anmerkungen und Bibliographische Angaben meiner gelesenen Ausgabe

* = Now he was beginning to seet hat things do change, no matter how much we wish it otherwise. (S. 213)
** = siehe Band 5 „Man of the Shadows“
*** = siehe Band 8 „The Sacred Hills“
**** = He appeared calm and comfortable, and there was a faint smile on his lips. His long and troubled journey was over. (S. 265)

328 Seiten, kartoniert
Verlag: Bantam Books New York/London/Toronto/Sydney/Auckland 1992; ISBN-10: 0-553-28945-4, ISBN-13: 978-0-553-28945-9

 

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